Chalions Fluch
liebsten schreiend aufgesprungen und konnte sich nur mit allergrößter Mühe zurückhalten.
Voller Entsetzen starrte er auf seinen aufgetriebenen Leib; dann wandte er den Blick sorgsam in eine andere Richtung. Er hatte angenommen, seine Heimsuchung sei spiritueller Natur und nicht körperlich. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, dass beides der Fall sein könnte. Das war ein Einbruch des Übernatürlichen ins Materielle, der in seinem Fall nur allzu einleuchtend klang. »Werden die auch hundert Pfund schwer?«, brachte er hervor.
»Die beiden, die ich entfernt habe, waren bedeutend kleiner«, versicherte ihm Rojeras.
Cazaril blickte in neu erwachter Hoffnung auf: »Ihr könnt sie also herausschneiden?«
»Oh, nur bei Toten«, erwiderte der Arzt entschuldigend.
»Aber, aber … es könnte gemacht werden?« Wenn ein Mann tapfer genug war, sich hinzulegen und sein Leben kaltblütig dem scharfen Stahl anzuvertrauen … wenn sich diese Abscheulichkeit bei der schonungslosen Direktheit einer Amputation herausschneiden ließe … Konnte man etwa ein Wunder auf rein körperliche Weise entfernen, wenn dieses Wunder tatsächlich eine körperliche Form angenommen hatte?
Rojeras schüttelte den Kopf. »Am Arm oder am Bein vielleicht. Aber in diesem Fall … Ihr wart Soldat. Ihr habt gewiss erlebt, was bei verunreinigten Bauchverletzungen passiert. Selbst wenn Ihr das Glück habt, den Schock und den Schmerz der Schnitte zu überleben, würde das Fieber Euch innerhalb weniger Tage umbringen.« Seine Stimme wurde eindringlicher: »Dreimal habe ich es versucht, und das auch nur, weil meine Patienten damit gedroht haben, sich andernfalls umzubringen. Sie sind alle gestorben. Ich habe wirklich kein Interesse, weitere wertvolle Menschenleben auf diese Weise zu verschwenden. Lasst Euch nicht von solch verzweifelten Unmöglichkeiten quälen und in Versuchung führen. Nutzt lieber die Lebensspanne, die Euch noch bleibt, und betet!«
Durch Gebete bin ich da erst hineingeraten – oder dieses Ding ist in mich hineingeraten …
»Erzählt der Prinzessin nichts davon!«
»Herr«, verkündete der Arzt ernst. »Ich muss!«
»Aber ich darf nicht … nicht jetzt … Sie darf mich nicht als bettlägerig betrachten und davonschicken! Ich kann sie nicht im Stich lassen!« Entsetzen erfasste Cazaril.
Rojeras hob die Brauen. »Eure Treue ehrt Euch, Lord Cazaril. Beruhigt Euch! Es besteht kein Grund, dass Ihr im Bett bleibt, solange Ihr selbst nicht die Notwendigkeit verspürt. Tatsächlich mögen einfache Tätigkeiten, wie Euer Dienst für die Prinzessin sie mit sich bringen, Euren Geist beschäftigt halten und Euch dabei helfen, mit Euch selbst ins Reine zu kommen.«
Cazaril atmete tief durch und beschloss, Rojeras seine angenehmen Illusionen über den Dienst am Hause Chalion zu lassen. »Solange Ihr deutlich macht, dass ich meinen Verpflichtungen weiter nachkommen kann …«
»Solange Ihr begreift, dass ich Euch damit keinen Freibrief ausstelle, Euch über Gebühr zu verausgaben!«, entgegnete Rojeras streng. »Ihr benötigt ganz offensichtlich mehr Ruhe, als Ihr Euch bislang zugebilligt habt.«
Mit einem eiligen Nicken stimmte Cazaril zu und versuchte, gleichzeitig fügsam und schwungvoll auszusehen.
»Da wäre noch eine weitere Sache«, fügte Rojeras hinzu. »Ich frage das nur, weil Ihr Euch als vernünftigen Mann bezeichnet habt und ich daher annehme, dass Ihr vielleicht Verständnis aufbringen könnt …«
»Ja?«, fragte Cazaril misstrauisch.
»Für den Fall Eures Todes – der noch in weiter Ferne liegen möge, wollen wir hoffen – könnte ich da eine schriftliche Einwilligung von Euch bekommen, dass ich das Geschwür für meine Sammlung entnehmen darf?«
»Ihr sammelt solche Schrecken?« Cazaril verzog das Gesicht. »Die meisten Menschen geben sich mit Gemälden zufrieden, oder mit alten Schwertern, oder mit Elfenbeinschnitzereien.« Kurz kämpfte Abscheu gegen Neugierde und zog den Kürzeren: »Ah … wie bewahrt Ihr sie denn auf?«
»In Gläsern mit Weingeist.« Rojeras lächelte, und eine schwache, verlegene Röte zeigte sich auf seiner hellen Haut. »Ich weiß, wie schaurig sich das anhört, aber ich hoffe immer … wenn ich nur genug darüber herausfinde, werde ich es eines Tages verstehen und einen Weg finden, zu verhindern, dass diese … Dinge Menschenleben fordern.«
»Aber auch das sind doch gewiss Gaben der Götter – dunkle Gaben. Wie wollen wir uns dagegen auflehnen, ohne unseren Glauben zu
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