Chalions Fluch
Prinzessin und zweimal aus eigenem Antrieb –, ging Cazaril zum Gegenangriff über und erklärte, dass es für die lange vernachlässigten Grammatikübungen an der Zeit sei. Wenn sie ihn ohnehin nicht alleine ließen, könne er auch aus Nutzen daraus ziehen.
Seine Schülerinnen waren an diesem Nachmittag überaus zurückhaltend, damenhaft und gehorsam. Selbst wenn er sich diesen sanftmütigen Lerneifer lange gewünscht hatte, so hoffte Cazaril doch schon allzu bald, der Zustand würde nicht lange anhalten.
Heute zumindest arbeiteten die Damen sich rasch durch die Übungen, selbst während der endlosen Wiederholungen der grammatischen Formen des höfischen Roknari. Cazarils reizbares Verhalten lud nicht zu tröstenden Worten ein. Seine Damen – gesegnet sei ihr unerschütterlicher Verstand – versuchten auch nicht, ihm welche aufzudrängen. Zum Schluss behandelten die jungen Frauen ihn beinahe wieder normal, wie er es offenkundig vorzog, obwohl um Betriz’ ernsten Mund keine Grübchen mehr sichtbar wurden, die ihm Trost spendeten.
Um ihre Verspannungen zu lösen, stand Iselle auf und ging im Gemach auf und ab. Dann blieb sie stehen und blickte aus dem Fenster auf den kühlen, winterlichen Dunst, der den Spalt unterhalb der Wälle des Zangres füllte. Abwesend rieb sie am Ärmel und meinte gereizt: »Lavendel ist nicht meine Farbe. Es sieht aus wie eine Prellung. Und es gibt schon zu viel Tod in Cardegoss. Ich wünschte, ich wäre nie hierher gekommen!«
Cazaril hielt es für undiplomatisch, ihr beizupflichten. So verbeugte er sich nur und zog sich zurück, um sich fürs Abendessen vorzubereiten.
In dieser Woche fielen die ersten winterlichen Schneeflocken auf die Straßen und Mauern von Cardegoss, doch sie schmolzen während des Nachmittags wieder ab. Palli hielt Cazaril über die Ankunft der übrigen Kapitelherrn auf dem Laufenden, die einer nach dem anderen unauffällig in die Hauptstadt einsickerten. Als Gegenleistung ließ er sich von seinem Freund mit dem neuesten Klatsch des Zangres versorgen. Gegenseitige Hilfe und gegenseitiges Vertrauen, überlegte sich Cazaril, aber zugleich auch eine doppelte Lücke in den Mauern, die sie beide eigentlich bewachen sollten. Doch wenn es jemals dazu kam, dass man zwischen der Kirche und dem Zangre zu wählen hatte, war Chalion bereits verloren.
Mit Prinz Teidez im Schlepptau traf auch dy Jironal wieder ein, als hätte der kalte Südostwind ihn hereingeweht, der zugleich eine unwillkommene Ladung Eisregen in der Stadt verteilt hatte. Zu Cazarils Erleichterung kehrte der Kanzler mit leeren Händen zurück, ohne Beute bei seiner Jagd nach Rache und Gerechtigkeit. Von dy Jironals beherrschtem Gesicht war nicht abzulesen, ob er an seinem Unternehmen verzweifelt oder nur zurückgerufen worden war von Spionen, die hart und rasch geritten waren, um ihm von den Kräften zu berichteten, die sich ohne sein Zutun in Cardegoss sammelten.
Teidez schleppte sich in seine Räumlichkeiten in der Burg zurück. Er sah müde aus, mürrisch und unzufrieden. Das überraschte Cazaril nicht. In drei Herzogtümern jeden Todesfall zu überprüfen, der sich während der Nacht von Dondos Ableben ereignet hatte, musste grausig gewesen sein – selbst ohne das schlechte Wetter.
Während er von Dondos Schleimerei geblendet gewesen war, hatte Teidez den Kontakt zu seiner älteren Schwester vernachlässigt. Als er an diesem Nachmittag in Iselles Gemächer kam, nahm er die schwesterliche Umarmung an und erwiderte sie auch, und er wirkte sehr viel interessierter an einer Unterhaltung, als er es für lange Zeit gewesen war. Cazaril zog sich diskret in sein Vorzimmer zurück und saß vor seinen aufgeschlagenen Büchern, während er mit seinem trocknenden Federkiel spielte. Als Verlobungsgeschenk hatte Orico die Einkünfte von sechs Städten dem Haushalt seiner Schwester zugesprochen. An Stelle der Hochzeit war es zu einer Beisetzung gekommen, doch Orico hatte die Schenkung nicht zurückgenommen. So waren Cazarils Aufzeichnungen und seine Korrespondenz deutlich aufwändiger geworden.
Nachdenklich lauschte er dem Auf- und Abschwellen der jugendlichen Stimmen, die durch die geöffnete Tür an sein Ohr drangen. Teidez beschrieb seiner begierig lauschenden Schwester jede Einzelheit der Reise: die schlammigen Straßen, die stolpernden Pferde, die schlecht gelaunten Männer, die mangelhafte Verpflegung und die kalten, zugigen Unterkünfte. Doch mit mehr Neid als Mitgefühl wies Iselle darauf hin, welch
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