Chalions Fluch
fragte sie streng.
»Ich habe keine Ahnung. Wie schön die Sonne scheint! Ich hoffe, das Wetter hält bis morgen.«
»Lady dy Baocia glaubt es, obwohl sie meinte, dass wir am Tag der Tochter möglicherweise wieder Regen haben.«
Der Duft der Orangenblüten staute sich im geschützten Hof und schien sich mit dem Geschmack des süßen Honigs in Cazarils Mund zu vermischen. Er nahm einen Schluck Tee, um das Brot herunterzuspülen, und stellte in trägem Staunen fest: »In drei Tagen wird genau ein Jahr vergangen sein, seit ich die Burg von Valenda betreten habe. Ich suchte eine Anstellung als Tellerwäscher.«
Ihre Grübchen blitzten auf. »Ich erinnere mich. Es war am Abend vor dem letzten Tochterstag, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, an der Tafel der Herzogin.«
»Oh, ich hatte Euch zuvor schon gesehen. Als Ihr in den Hof eingeritten seid, mit Iselle und … und Teidez.« Und dem unglücklichen dy Sanda.
Sie wirkte betroffen. »Tatsächlich? Wo seid Ihr denn gewesen? Ich habe Euch nicht bemerkt.«
»Ich saß auf der Bank an der Mauer. Ihr wart zu sehr damit beschäftigt, Euch von Eurem Vater wegen des Galopp schelten zu lassen, um mich zu bemerken.«
»Oh.« Sie seufzte, fuhr mit der Hand durch das kleine Brunnenbecken und schüttelte die kalten Wassertropfen von den Fingern. Die Frühlingstochter mochte vielleicht die Luft dieses warmen Tages ausgeatmet haben, doch das Wasser gehörte noch immer dem alten Winter. »Es scheint hundert Jahre her zu sein, nicht nur ein einziges.«
»Mir kommt es vor wie ein Wimpernschlag. Die Zeit läuft mir davon, und muss mich sputen, dass ich noch mithalten kann. Das erklärt wohl auch, warum ich so keuche.« Nach einer kurzen Pause fügte er ruhig hinzu: »Hat Iselle Ihrem Onkel etwas von dem Fluch anvertraut, den wir morgen zu brechen versuchen?«
»Nein, natürlich nicht.« Als er die Stirn runzelte, ergänzte sie: »Iselle ist Istas Tochter. Sie kann nicht darüber reden, sonst sagen die Leute, sie sei ebenfalls verrückt und benutzen es als Vorwand, ihr alles wegzunehmen. Dy Jironal hat es schon versucht! Bei Teidez’ Beerdigung nutzte er jede Gelegenheit und ließ in Hörweite sämtlicher Edler und Herzöge Bemerkungen über Iselle fallen. Wenn sie weinte – ob das nicht zu maßlos sei? Wenn sie lachte – wie seltsam es doch sei, dass sie so etwas bei der Beerdigung ihres Bruders tue! Wenn sie sprach, flüsterte er darüber, wie hektisch sie sei; wenn sie schwieg – war sie dann nicht seltsam melancholisch geworden? Und man konnte die Leute förmlich dabei beobachten, wie sie tatsächlich sahen, was er ihnen einredete, ob es nun stimmte oder nicht. Zum Ende seines Aufenthaltes in Valenda sagte er solche Dinge sogar in ihrer Gegenwart, um zu sehen, ob er sie damit erschrecken und in Wut versetzen und sie dann beschuldigen konnte, eine unausgeglichene und streitlustige Frau zu sein. Und er verbreitete offene Lügen. Aber ich und Nan und die Herzogin waren ihm da schon auf die Schliche gekommen. Wir haben Iselle gewarnt, und nun beherrschte sie sich in seiner Gegenwart.«
»Ah! Was für ein Mädchen!«
Betriz nickte. »Aber sobald wir hörten, dass die Männer des Kanzlers kommen, um sie nach Cardegoss zurückzuholen, war Iselle verzweifelt bemüht, aus Valenda zu entkommen. Denn wenn er sie erst in Gewahrsam hätte, könnte dy Jironal fast jede Geschichte in Umlauf bringen – und wer sollte sie abstreiten? Er könnte die Herzöge von Chalion dazu bewegen, die Verlängerung seiner Regentschaft für das arme, wahnsinnige Mädchen zu billigen, solange es ihm beliebt, ohne auch nur einmal die Waffen erheben zu müssen.« Sie holte tief Luft. »Daher hat sie es niemals gewagt, den Fluch zu erwähnen.«
»Ich verstehe. Sie tut gut daran, vorsichtig zu sein. Nun, wenn die Götter es so wollen, wird es bald vorüber sein.«
»Die Götter – und Kastellan dy Cazaril.«
Er machte eine knappe, abwehrende Handbewegung und nahm einen weiteren Schluck Tee. »Wann hat dy Jironal erfahren, dass ich nach Ibra gegangen bin?«
»Ich glaube nicht, dass er eine Ahnung hatte, bevor der Leichenzug Valenda erreichte und Ihr dort nicht aufzufinden wart. Die alte Herzogin meinte, dass er Berichte von seinen Spionen in Ibra erhielt. Ich denke, dass er Valenda zum Teil deshalb nicht verlassen konnte, bevor er nicht seine eigenen Gardetruppen dort untergebracht hatte, obwohl er so sehr bestrebt war, zurückzukehren und dy Yarrin von Orico fern zu halten.«
»Er schickte
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