Chalions Fluch
hineinschlüpfen und Orico für seine Sache bekehren könnte. Orico selbst hängt an einem seidenen Faden, dy Yarrin hält mich insgeheim auf dem Laufenden. Krank, aber nicht ohne Verstand, würde ich sagen: Der König scheint seine eigene Krankheit zu nutzen, um eine Entscheidung zu verzögern. Er versucht, niemanden vor den Kopf zu stoßen.«
»Das hört sich sehr nach Orico an.« Cazaril spielte mit seinem Bart und blickte zu dy Baocia auf. »Wenn wir von Ordensrittern reden, wie viele Männer vom Orden des Sohnes sind in Taryoon stationiert?«
»Nur eine Kompanie, ungefähr zweihundert Mann«, antwortete der Herzog. »Wir unterhalten keine so großen Garnisonen wie Guarida oder die anderen Herzogtümer, die an die Fürstentümer der Roknari grenzen.«
Das sind zweihundert mögliche Gegner innerhalb der Stadtmauern, überlegte Cazaril.
Dy Baocia bemerkte seinen Blick. »Der Erzprälat wird später am Abend eine Unterredung mit dem Befehlshaber führen. Ich nehme an, der Ehevertrag wird viel dazu beitragen, den Mann zu überzeugen, dass die neue Thronfolgerin loyal ist gegenüber … äh, der Zukunft von Chalion.«
»Sie haben immer noch ihren Gehorsam geschworen«, murmelte Palli. »Man sollte sie nicht vor eine Wahl stellen, die einen Bruch dieser Eide erforderte.«
Cazaril dachte über Reisezeiten zu Pferd und über die Entfernungen nach. »Die Nachricht von Iselles Flucht aus Valenda wird inzwischen gewiss nach Cardegoss gedrungen sein. Die Neuigkeit von Bergons Ankunft dürfte kurz darauf folgen. Dann wird dy Jironal die Regentschaft, auf die er so sehr gezählt hat, durch seine Finger rinnen sehen.«
Dy Baocia lächelte zufrieden. »Und dann wird es vorüber sein! Die Ereignisse bewegen sich viel schneller, als er – oder irgendjemand sonst – es hätte voraussehen können.« Er warf Cazaril einen Seitenblick zu, in dem sich Respekt mit einem Hauch von Bewunderung mischte.
»Und das wäre auch besser so«, sagte Cazaril. »Er darf nicht zu Schritten verleitet werden, die er später nicht wieder zurücknehmen kann.« Wenn zwei Seiten, die beide unter einem Fluch standen, in einem Bürgerkrieg gegeneinander kämpften, konnte es durchaus sein, dass am Ende beide Seiten unterlagen. Es wäre die Zuspitzung der Todesgabe des Goldenen Heerführers, wenn ganz Chalion in einer derartigen Tragödie unterginge. Ein Sieg bedeutete, die Auseinandersetzung so geschickt zu führen, dass Blutvergießen vermieden wurde. Obwohl … wenn Bergon Iselle aus dem Schatten führte, würde der arme Orico vermutlich darin zurückbleiben, und dy Jironal würde das Schicksal seines nominellen Herrn teilen. Und was geschah dann mit Ista?
»Offen gesagt, vieles hängt davon ab, wann der König stirbt. Er könnte noch eine Weile dahinsiechen.« Cazaril erkannte, dass Umegats Menagerie viel mehr Übel verhindert hatte als nur die schlechte Gesundheit des Königs. »Vorausblickend müssen wir jetzt schon planen, wie wir Kanzler dy Jironals Stolz beschwichtigen können – sowohl vor Iselles Thronbesteigung wie danach.«
»Ich glaube nicht, dass er sich beschwichtigen lässt, Caz«, widersprach Palli. »Mehr als ein Jahrzehnt war er der König von Chalion, in jeder Hinsicht – außer dem Titel nach.«
»Dann muss er doch langsam müde werden «, seufzte Cazaril. »Ein paar hohe Ämter für seine Söhne dürften ihn milder stimmen. Die Treue zu seiner Familie ist seine Schwäche.« Das legte zumindest der Fluch nahe, der jede Tugend zu einem Laster verkehrte. »Entmachtet ihn, aber gewährt seiner Sippe Vergünstigungen … Zieht ihm langsam und behutsam die Zähne, und es ist geschafft.« Er schaute zu Betriz hoch, die aufmerksam zuhörte – ja, er konnte darauf zählen, dass sie diese Unterredung später an Iselle weiterleitete.
Im anderen Gemach erhoben sich Iselle und Bergon. Sie legte die Hand auf seinen ausgestreckten Arm, und beide warfen einander verstohlene, schüchterne Blicke zu. Cazaril konnte sich kaum zwei Menschen vorstellen, die mehr voneinander angetan waren. Und doch, als Iselle mit ihrem Verlobten das Empfangszimmer betrat und triumphierend auf die versammelte Gesellschaft blickte, schien sie von sich selbst ebenso angetan zu sein. Bergon wirkte stolz, doch ein wenig unsicherer, doch er hatte ein beruhigend entschlossenes Nicken für Cazaril übrig, als dieser sich von seinem Sitz aufrappelte.
»Die Thronfolgerin von Chalion …«,sagte Iselle.
»Und der Thronfolger von Ibra …«, setzte Bergon
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