Chalions Fluch
einige Erfrischungen in den Nebenraum einzuladen. Das junge Paar blieb zu einem Gespräch unter vier Augen zurück. Sie steckten die Köpfe zusammen, und so war wenig zu hören für die eifrigen Lauscher, die sich in der Nähe der geöffneten Türen herumtrieben und häufig einen Blick hindurchwarfen, um zu sehen, wie die beiden miteinander auskamen.
Cazaril war nicht der Letzte unter ihnen. Er hatte seinen Stuhl an eine günstige Stelle geschoben, und während er aß, reckte er oft besorgt den Hals. Die Stimmen der beiden wurden manchmal lauter, manchmal leiser. Bergon gestikulierte, und Iselle lachte zweimal laut auf, und dreimal weiteten sich ihre Augen, und sie holte tief Luft und legte die Hand vor den Mund. Dann senkte sie die Stimme und sprach eindringlich auf Bergon ein, der den Kopf schief legte und aufmerksam lauschte. Nur zwei Mal löste er den Blick von ihrem Gesicht, um zu Cazaril hinüberzu schauen, woraufhin beide noch leiser sprachen.
Lady Betriz brachte Cazaril ein Glas verdünnten Wein und quittierte seinen Dank mit einem Nicken. Cazaril konnte erraten, wer das heiße Wasser, die Dienstboten, das Essen und die Kleidung für ihn bereitgestellt hatte. Betriz’ zarte Haut leuchtete golden im Kerzenlicht, glatt und jugendlich, doch ihr dunkles Kleid und ihr streng zurückgebundenes Haar verliehen ihr eine unerwartet reife Eleganz, eine leidenschaftliche Kraft mit den besten Anlagen für künftige Stärke und Weisheit …
»Was meint Ihr, wie die Dinge nun in Valenda stehen?«, fragte Cazaril sie.
Ihr Lächeln wurde nüchterner. »Angespannt. Aber wir hoffen, es wird besser – nun, wo Iselle fort ist. Dy Jironal wird es bestimmt nicht wagen, der Witwe und Schwiegermutter von König Ias mit Gewalt zu drohen, nicht wahr?«
»Zu Anfang sicher nicht. Aber wenn jemand in die Enge getrieben wird, ist alles möglich.«
»Das ist wahr. Zumindest streiten die Leute sich dann nicht mehr darüber, was möglich ist und was nicht.«
Cazaril dachte an den wilden nächtlichen Ritt der jungen Frauen, der die taktische Lage so unvermittelt auf den Kopf gestellt hatte. »Wie seid ihr entkommen?«
»Nun, dy Jironal hatte offenbar erwartet, dass wir alle furchtsam in der Burg kauern und uns von seinem bewaffneten Aufmarsch eingeschüchtert zeigen. Ihr könnt Euch vorstellen, wie das bei der alten Herzogin ankam. Die weiblichen Spione dy Jironals behielten Iselle die ganz Zeit im Auge – nicht aber mich! Ich habe Nan mitgenommen, und wir beide gingen durch die Stadt und erledigten alltägliche kleine Besorgungen für den Haushalt. Und wir hielten die Augen offen und haben den Tempel aufgesucht. Dort verweilte auch Lord dy Palliar und betete für Oricos Gesundheit.« Ihr Lächeln zauberte Grübchen auf ihren Wangen. »Eine Zeit lang wurden wir sehr fromm.« Die Grübchen verschwanden. »Dann erhielt die Herzogin Nachricht – ich weiß nicht, woher –, dass der Kanzler seinen jüngsten Sohn ausgesandt hatte, mit einem Trupp seiner eigenen Reiterei, um Iselle in Gewahrsam zu nehmen und sie eiligst nach Cardegoss zurückzubringen, weil Orico im Sterben liege. Was durchaus der Wahrheit entsprechen könnte, soweit wir wissen, was aber umso mehr ein Grund ist, sich nicht in dy Jironals Hände zu begeben! Eine Flucht war anzuraten – und sie wurde bewerkstelligt.«
Palli schlenderte heran und hörte zu. Auch der Herzog kam herbeispaziert.
Cazaril nickte ihm zu. »Eure Frau Mutter schrieb mir, dass einige Eurer Mitherzöge ihre Unterstützung versprochen haben. Konntet Ihr weitere Zusagen erreichen?«
Dy Baocia rasselte eine Aufzählung der Namen von Leuten herunter, denen er geschrieben oder von denen er gehört hatte. Es waren nicht so viele, wie Cazaril es sich gewünscht hätte.
»Das sind bloß Worte. Wie ist es mit Truppen?«
Dy Baocia zuckte die Achseln. »Zwei meiner Nachbarn haben weitere Unterstützung für Iselle zugesagt, falls es nötig sein sollte. Sie haben ebenso wenig Freude daran wie ich, dass die Truppen des Kanzlers eine meiner Städte besetzt halten. Der dritte Nachbar ist mit einer von dy Jironals Töchtern verheiratet. Im Moment rührt er sich nicht und versucht, so wenig wie möglich zu sagen.«
»Verständlich. Wo hält dy Jironal sich im Augenblick auf? Weiß das jemand?«
»Wir vermuten, in Cardegoss«, sagte Palli. »Der Ritterorden der Tochter hat noch immer keinen Großmeister. Dy Jironal traut sich nicht für längere Zeit von Oricos Seite fort, aus Angst, dass dy Yarrin
Weitere Kostenlose Bücher