Chalions Fluch
in den hinteren Bankreihen zurück. Köche, Dienstboten, Stalljungen, Pagen, der Jagdaufseher und der Falkner, die oberste Haushälterin und der Majordomus kamen nacheinander herein. Sie alle trugen ihre besten Gewänder, mit so viel blauem und weißem Stoff, wie sie auftreiben konnten. Schließlich führte Lady Betriz die Prinzessin Iselle herein, vollständig ausstaffiert und ein wenig steif in den kunstvollen, viellagigen Kleidern der Frühlingsherrin, deren Rolle sie heute spielen sollte. Aufmerksam ließen sie sich auf einer der vordersten Bänke nieder, wobei es ihnen gelang, nicht zu kichern. Ihnen folgte ein Geistlicher der Heiligen Familie aus dem städtischen Tempel, der ebenfalls seinen Ornat gewechselt hatte und nun nicht mehr, wie noch am gestrigen Tag, die schwarzgrauen Roben des Vaters trug, sondern die blauen und weißen der Tochter. Der Priester hielt einen kurzen Gottesdienst zu Ehren der Abfolge der Jahreszeiten, und der Toten, derer hier gedacht wurde. Als die ersten Strahlen der Sonne durch das Ostfenster tasteten, löschte er feierlich die letzte noch brennende Kerze – die letzte Flamme im Haus überhaupt.
Anschließend fanden alle zu einem kurzen Frühstück zusammen, das im Innenhof auf aufgebockten Tischplatten angerichtet war. Kalt, aber reichhaltig. Cazaril ermahnte sich, dass er nicht binnen eines Tages die Entbehrungen dreier Jahre aufholen musste, und dass ihm bald ein Marsch hügelauf und hügelab bevorstand. Trotzdem war er satt und zufrieden, als das weiße Maultier der Prinzessin herangeführt wurde.
Es war ebenfalls geschmückt, mit blauen Bändern und frischen, blühenden Blumen, die in Mähne und Schweif geflochten waren. Sein Schmuck war prachtvoll verziert mit den Symbolen der Frühlingsherrin. Iselle wurde mitsamt ihrer Tempelgarderobe vorsichtig in den Sattel gehoben. Ihre Haare waren so gerichtet, dass sie wie ein bernsteinfarbener Wasserfall unter ihrer Krone aus Zweigen und Blüten und über ihre Schulter flossen. Nach dem Aufsitzen ordnete man ihre Überwürfe und die herabhängenden Stoffbahnen. Diesmal benutzte sie die Trittbank und nahm auch die Hilfe einiger kräftiger junger Pagen in Anspruch. Der Geistliche ergriff die blaue Seidenschnur des Maultiers, um sie aus dem Tor zu führen.
Die Herzogin hievte man auf eine verschlafene, kastanienbraune Stute, die eine auffällige weiße Färbung an den Fesseln zeigte und ebenfalls mit Bändern und Blumen geschmückt war. Der Majordomus geleitete das Tier hinaus. Cazaril unterdrückte ein Aufstoßen und eilte auf dy Ferrejs Zeichen herbei, um Lady dy Hueltar zur Hand zu gehen. Der Rest des Haushalts – diejenigen, die zu Fuß gingen – reihten sich hinter ihnen ein.
Die fröhliche Menge wand sich hinab durch die Straßen der Stadt dem alten Osttor zu, wo die Prozession offiziell ihren Anfang nahm. Dort warteten bereits mehrere hundert Menschen, darunter um die fünfzig Berittene aus verschiedenen Komtureien des Ordens der Tochter. Sie waren aus dem gesamten Umland Valendas zusammengezogen. Cazaril lief an dem stämmigen Soldaten vorüber, der gestern aus Versehen die Münze für ihn in den Schmutz geworfen hatte, doch der Mann erkannte ihn nicht. Sein höfliches Nicken galt allein Cazarils Seidengewändern und dem Schwert. Und dem sauber getrimmten Bart und dem Bad, ergänzte Cazaril in Gedanken. Wie leicht lassen wir uns von Oberflächlichkeiten blenden. Die Götter allein blickten vermutlich hinter die Fassaden. Cazaril fragte sich, ob die Götter dies als ebenso unangenehm empfanden, wie er gelegentlich in letzter Zeit …
Er schob diese seltsamen Gedanken beiseite, als die Prozession sich formierte. Der Geistliche übergab die Führungsleine von Iselles Maultier einem älteren Herrn, der in diesem Jahr für die Rolle des Wintervaters auserkoren war. In der Winterprozession hätte ein junger Vater den Platz des Gottes eingenommen, in einem dunklen Gewand, das so ordentlich aussah wie das eines Richters. Und er hätte ein auserlesenes Ross geritten, geführt vom scheidenden und zerlumpten Herbstsohn. Heute war der Großvater in schmutzige Lumpen gehüllt, die Cazarils Landstreicherkluft im Vergleich dazu gutbürgerlich aussehen ließ. Des Wintervaters Bart, sein Haar und seine bloßen Waden waren mit Asche verschmiert. Er lächelte und machte Iselle gegenüber einen Scherz, der sie zum Lachen brachte. Die Gardesoldaten nahmen hinter dem Paar ihre Plätze ein, und der gesamte Umzug umrundete die alten Stadtmauern,
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