Chalions Fluch
Tischchen zu Iselles Rechten saß. Anschließend wurden sie beiseite genommen und erhielten als Gegenleistung die Kerze, mit der sie die neue Flamme in ihr Haus zurücktragen sollten. Dem Rang nach war der Haushalt der Herzogin der erste, und der Beutel, den der Majordomus in Iselles Hand legte, war schwer vor Gold. Andere Männer von Stand traten vor. Iselle lächelte, nahm die Spenden entgegen und verteilte den Segen; der Prälat des Tempels reichte Kerzen und bedankte sich; der Schreiber lächelte, zeichnete die Beträge auf und stapelte die Einnahmen.
An Cazarils Seite wurde Betriz steif vor … Aufregung? Kurz fasste sie Cazarils linken Arm. »Als Nächstes kommt dieser niederträchtige Richter, Vrese«, zischte sie ihm ins Ohr. »Schaut!«
Ein verdrießlich dreinblickender Mann mittleren Alters trat auf den Thron der Dame zu. Er war edel gekleidet in dunkelblauen Samt, mit Goldketten behangen, und hielt eine Geldbörse in der Hand. Mit einem verkniffenen Lächeln reichte er sie weiter. »Das Haus Vrese entbietet der Göttin seine Opfergaben«, sagte er näselnd. »Segnet uns für die anbrechende Jahreszeit, Herrin.«
Iselle faltete die Hände im Schoß. Sie hob das Kinn, blickte Vrese mit kühlem Blick an und sagte laut und deutlich: »Die Tochter des Frühlings empfängt gern Gaben, die in ehrlicher Hingabe überbracht werden. Sie nimmt allerdings keine Bestechungsgelder entgegen. Ehrenwerter Vrese, Euer Gold bedeutet Euch mehr als alles andere. Ihr mögt es behalten.«
Vrese wich langsam zurück. Erschrocken riss er den Mund auf. Atemlose Stille verbreitete sich wie eine Woge bis in die letzten Reihen der Menge und kehrte dann als aufbrandendes Gemurmel zurück. Was hat sie gesagt? Ich habe nichts verstanden … Der Prälat erbleichte. Der Schreiber blickte mit einem Ausdruck tiefsten Entsetzens von seinen Aufzeichnungen auf.
Ein gut gekleideter Mann, der weit vorn in der Schlange wartete, ließ sich zu einem kurzen, fröhlichen Lachen hinreißen. Sein Mund nahm einen Ausdruck an, der weniger Heiterkeit verriet als vielmehr Genugtuung über eine höhere Gerechtigkeit. Neben Cazaril wippte Lady Betriz auf den Zehen und stieß die Luft zwischen den Zähnen hervor. Eine Spur unterdrückten Gelächters folgte den getuschelten Worten, die durch die Menge der Stadtbevölkerung nach hinten sickerten wie Frühlingshochwasser.
Der Richter wandte den Blick dem Prälaten zu und machte eine seltsame, missglückte Geste in dessen Richtung, immer noch den Beutel mit den Opfergaben schwenkend. Der Priester öffnete und schloss seine herabhängenden Hände. Flehend blickte er auf die thronende Verkörperung der Göttin.
»Lady Iselle«, flüsterte er aus dem Mundwinkel, aber nicht leise genug. »Ihr könnt nicht … wir können nicht … ist es die Göttin, die Euch in dieser Angelegenheit lenkt?«
Nicht annähernd so leise gab Iselle zurück: »Sie spricht in meinem Herzen. In dem Euren nicht? Darüber hinaus habe ich sie gebeten, mir ihre Zustimmung zu zeigen, indem sie mir die erste Flamme gewährt – was sie getan hat.« In vollendeter Selbstbeherrschung beugte sie sich zur Seite, blickte um den erstarrt dastehenden Richter herum und lächelte den nächsten Bürger strahlend an. »Ihr seid an der Reihe, mein Herr«, ermunterte sie ihn.
Notgedrungen trat der Richter beiseite, vor allem, da der nächste Mann in der Reihe grinste und keine Scheu zeigte, sich mit den Schultern einen Weg zu bahnen.
Auf einen Blick seines Vorgesetzten hin sprang ein Akolyth vor. Er eilte auf den Richter zu und wollte ihn ein wenig beiseite führen, um die Angelegenheit zu besprechen. Sein zögernder Griff nach der Spendenbörse wurde schon im Ansatz durch einen eisigen Blick der Prinzessin in seine Richtung unterbunden. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und komplimentierte den vor Wut schäumenden Richter hinaus. Auf der anderen Seite des Hofes kniff die Herzogin mit Daumen und Zeigefinger ihren Nasenrücken, legte sich die Hand über den Mund und starrte ihre Enkeltochter aufgebracht an. Iselle hob ihr Kinn nur noch höher und verteilte weiterhin in mildem Tonfall den Segen der Göttin im Austausch für die Festtagsgaben der plötzlich gar nicht mehr gelangweilten Stadtbewohner.
Während Iselle sich in der Abfolge der Haushalte weiter nach unten bewegte, traten die Überbringer der Geschenke immer häufiger mit leeren Händen in den heiligen Bereich und nahmen ihren Segen und das neue Herdfeuer entgegen: Gaben wie
Weitere Kostenlose Bücher