Chalions Fluch
Handlangern sowie einige Dienstboten aus Iselles Haushalt lagen flach auf dem Boden. Einige murmelten Gebete, andere weinten wie der baocische Hauptmann. Der Rest war verschwunden.
Cazaril konnte sich nun vorstellen, weshalb ein Mann sein Leben dreimal aufgeben musste, um dies hier zu erreichen. Und er hatte immer geglaubt, die Götter hätten um irgendeiner geheimnisvollen Bestrafung willen willkürliche und schwierige Bedingungen gestellt. Dabei hatte er die beiden ersten Tode nur zur Übung benötigt. Den ersten, damit sein Körper den Tod akzeptieren konnte; dafür sorgte die Auspeitschung auf den Galeeren. Und er hatte sich nicht verzählt – dieser Tod hatte ursprünglich nicht dem Kö nigshaus von Chalion gedient. Doch mit Iselles und Bergons Heirat und dem Vollzug ihrer Ehe war es anders geworden. Die Verbindung zwischen den beiden teilte offenbar nicht nur auf entsetzliche Weise den Fluch zwischen ihnen auf, sondern ebenso Cazarils Opfer. Bergons geheime Mitgift, sozusagen. Ca zaril hoffte, noch lange genug zu leben, um dem Prinzen davon zu erzählen, und dass der sich darüber freute.
Das z weite Mal, als er den Tod akzeptiert hatte, war in der einsamen Gesellschaft der Krähen in Fonsas Turm gewesen. Und das alles, damit er hier, bei seinem dritten Tod, der Göttin eine reibungslose und verlässliche Zusammenarbeit anbieten konnte.
Rasche Schritte näherten sich. Cazaril blickte auf und erkannte dy Tagille, der in den Innenhof gerannt kam. Er war außer Atem und wirkte zerzaust, hatte sein Schwert aber weggesteckt. »Bei der Hölle des Bastards!«, rief er und schaute auf seinen ibranischen Gefährten hinab. »Alles in Ordnung mit Euch, dy Cembuer?«
»Diese Hurensöhne haben mir den Arm wieder gebrochen. Was passiert da draußen?«
»Dy Baocia hat seine Männer gesammelt und die Eindringlinge aus dem Palast getrieben. Im Augenblick herrscht ein ziemliches Durcheinander, aber der Rest von ihnen flüchtet offenbar durch die Stadt und versucht, den Tempel zu erreichen.«
»Um ihn zu überfallen?«, fragte dy Cembuer besorgt. Er versuchte, sich aufzurappeln.
»Nein. Um sich bewaffneten Männern zu ergeben, die sie nicht gleich in Stücke reißen wollen. Wie es scheint, ist ganz Taryoon auf den Straßen und macht Jagd auf sie. Die Frauen sind am schlimmsten, bei der Hölle des Bastards!« Er starrte auf dy Jironals Leichnam. »Einer von den Soldaten aus Chalion hat geschrien und gestammelt, dass er mit eigenen Augen gesehen hätte, wie dy Jironal von einem Blitz erschlagen wurde – aus heiterem Himmel, weil er ein Sakrileg begangen und am Tag der Tochter einen Kampf angefangen hat. Ich habe ihm kaum ein Wort geglaubt.«
»Ich habe es auch gesehen«, meinte dy Cembuer. »Es war ein schreckliches Geräusch. Er hatte nicht einmal mehr Zeit für einen Aufschrei.« Dy Tagille zerrte die Leiche ein Stück weit fort und kniete vor Cazaril nieder. Ängstlich starrte er auf dessen durchbohrten Leib und dann in sein Gesicht. »Lord Cazaril, wir müssen dieses Schwert aus Euch herausziehen. Am besten tun wir es sofort.«
»Nein … wartet …« Cazaril hatte einmal erlebt, wie ein Mann mit einem Armbrustbolzen eine halbe Stunde lang überlebt hatte, bis der Bolzen herausgezogen wurde. Dann war das Blut aus der Wunde gesprudelt, und er war gestorben. »Zuvor möchte ich Lady Betriz sehen.«
»Lord Cazaril, Ihr könnt hier nicht mit einem Schwert im Leib sitzen bleiben!«
»Wisst Ihr«, meinte Cazaril, »ich kann mich ganz sicher nicht damit bewegen …« Der Versuch zu sprechen ließ ihn nach Luft schnappen. Er zitterte, und ihm war sehr kalt. Aber der pulsierende Schmerz war nicht so furchtbar, wie er es erwartet hätte. Vielleicht, weil er sich so wenig bewegte. Solange er sich ganz wenig bewegte, schmerzte es nicht schlimmer als Dondos Übergriffe.
Weitere Männer trafen im Innenhof ein. Die verschiedensten Geräusche und die Schreie der Verletzten hallten von den Wänden wider, und Berichte wurden immer wieder mit schrillen Stimmen wiederholt. Cazaril achtete nicht darauf und wandte sich erneut ganz dem Kieselstein zu. Er fragte sich, woher er kam, und wie er hierher gekommen war. Was war er gewesen, bevor er zum Kieselstein wurde? Ein Felsen? Ein Berg? Wo? Wie viele Jahre? Der Stein nahm Cazarils Geist zur Gänze in Anspruch. Wenn schon ein Kieselstein seinen Geist anfüllen konnte, was vermochte dann erst ein Berg? Die Götter hielten die Berge in ihrem Geist, und daneben noch alles andere, und alles
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