Chalions Fluch
in diesen Sturm gerissen, aus seinem Körper heraus, und wurde davongewirbelt wie eine aufsteigende Rauchsäule in einem Orkan.
Drei Tode und ein Dämon, alle ineinander verstrickt. Sie flossen in eine blaue Gegenwart …
Cazarils Geist zerbarst.
Er erweiterte sich … erweiterte sich … erweiterte sich, bis die ganze Welt unter ihm lag wie von einem hohen Berg aus gesehen. Doch es war nicht die Welt der Materie. Es war eine Landschaft aus Seelen-Stoff. Farben, die er nicht benennen konnte, von erschütternd strahlendem Glanz, trugen ihn auf einem prachtvollen Sturm empor. Er hörte all die Seelen der Welt flüstern, ein Seufzen wie vom Wind zwischen den Bäumen – wenn man nur, gleichzeitig und jedes für sich, das Lied eines jeden Blattes unterscheiden könnte. Und alle Schmerzensschreie und jedes Weinen. Und Scham und Freude. Und Hoffnung und Verzweiflung … Tausend mal Tausend Augenblicke aus Tausend mal Tausend Leben strömten durch seinen aufgeblähten Geist.
Von der Oberfläche unter ihm stiegen kleine Blasen in Seelen-Farbe empor, eine nach der anderen, und schwebten in einem unruhigen Reigentanz, Hunderte, Tausende, wie große Regentropfen, die nach oben fielen …
Das ist Sterben … durch die Risse zwischen den Welten zu diesem Ort hier strömen.
Seelen, die in der Materie herangereift waren und nun starben, um auf diese seltsame Weise neu geboren zu werden. Zu viel, zu viel, zu viel … Cazarils Geist konnte das alles nicht fassen, und die Visionen entglitten ihm wie Wasser, das durch seine Finger rann.
Einst, in seinem jugendlichen Glauben, hatte er sich die Frühlingsherrin als hübsche, sanfte junge Frau vorgestellt. Die Geistlichen und Ordol hatten diese Vorstellung kaum weiter verfeinert als bis zum geistigen Bild einer freundlichen, unsterblichen Dame. Dieser überwältigende Verstand jedoch lauschte jedem Schrei, jedem Lied der Welt gleichzeitig. Mit dem Stolz einer Gärtnerin, die den Duft ihrer eigenen Blumen riecht, beobachtete Sie die Seelen, wie sie in all ihrer schrecklichen, komplizierten Schönheit emportrudelten. Und nun wandte dieser ungeheure Verstand seine ganze Aufmerksamkeit Cazaril zu.
Cazaril schmolz und wurde von Ihren Händen geborgen. Er hatte den Eindruck, dass Sie ihn trank, ihn gleichsam aus der gewaltsamen Verstrickung mit den Brüdern dy Jironal und dem Dämon heraussaugte, die anderswohin davonjagten. Dann wurde er zwischen Ihren Lippen hervorgeblasen und in einer immer engeren Spirale zurück durch den großen Riss in der Welt geschickt, der sein Tod war – und dann war er wieder in seinem Körper. Gerade trat dy Jironals Schwertklinge an seinem Rücken wieder aus. Blut umhüllte die Spitze wie die Blätter einer Rose.
Und jetzt an die Arbeit, flüsterte die Herrin. Öffne dich mir, lieber Cazaril.
Kann ich zusehen? fragte er zaghaft.
Was du ertragen kannst, sei dir gewährt.
Er sank in träger Gelassenheit zurück, als die Göttin durch ihn in die Welt floss. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem leisen Lächeln. Sein fleischlicher Körper war so langsam wie die der Männer rings um ihn her auf dem Innenhof. Er schien auf die Knie zu sinken. Dy Jironals Leichnam fiel immer noch auf den Steinboden zu, obwohl seine tote Hand sich inzwischen vom Schwertgriff gelöst hatte. Dy Cembuer stützte sich auf seinen gesunden Arm; sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, aus dem irgendwann einmal ein »Cazaril!« würde. Mehrere Männer warfen sich flach auf den Boden, andere rannten davon.
Die Göttin wickelte den Fluch von Chalion in Ihren Händen auf wie dicke, schwarze Wolle. Sie nahm ihn von Iselle und Bergon, die irgendwo in den Straßen von Taryoon waren. Von Ista in Valenda. Von Sara in Cardegoss. Vom ganzen Land Chalion, von Berg zu Berg, von den Flüssen und Ebenen. Cazaril fand keine Spur von Orico in dem dunklen Nebel. Die Herrin ließ den Fluch sich wieder ausdehnen, durch Cazaril hindurch und in jenes andere Reich, wobei er an Schwärze verlor, bis es Cazaril erschien, ob wäre es ein Fluss aus hellem, klarem Wasser, oder aus Wein, oder aus etwas viel Wunderbarerem.
Eine andere Gegenwart, grau und ernst, wartete dort, nahm den Fluss in sich auf und seufzte auf eine Weise, die Erleichterung zum Ausdruck brachte, oder Vollendung, oder Gleichgewicht. Ich glaube, es war das Blut eines Gottes. Verschüttet, verunreinigt, wieder aufge wischt, gereinigt und schließlich zurückgegeben.
Ich verstehe das nicht. Hat Ista sich geirrt? Habe ich mich bei meinen
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