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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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hinzugefügt.
    »Ja, Ihr sollt mir zur Hand gehen. Aber nicht bei einem Brief. Ser dy Ferrej sagte, dass Ihr einst als Kurier unterwegs wart. Stimmt das?«
    »Ich ritt einst für den Herzog von Guarida. Als ich jünger war.«
    »Ein Kurier ist ein Spion.« Ihr Blick hatte etwas beunruhigend Berechnendes.
    »Nicht unbedingt, auch wenn es mitunter schwierig war, die Leute davon zu überzeugen. Man vertraute uns Botschaften an, das war unsere häufigste und wichtigste Aufgabe. Aber natürlich wurde auch von uns erwartet, dass wir die Augen offen hielten und alles meldeten, was wir beobachten konnten.«
    »Das reicht mir.« Sie schob wieder das Kinn vor. »Dann soll meine erste Aufgabe für Euch, als mein Schreiber, das Beobachten sein. Findet heraus, ob ich einen Fehler begangen habe. Ich kann nicht einfach in die Stadt gehen oder herumfragen. Ich muss hier oben auf diesem Hügel ausharren«, sie verzog das Gesicht, »auf meinem Kissen! Aber Ihr könnt das alles tun.« Sie blickte mit einem Ausdruck tiefsten Vertrauens zu ihm hinüber. Cazaril war verunsichert.
    Mit einem Mal fühlte er eine Leere im Innern, die wenig mit seinem Hunger zu tun hatte. Offensichtlich hatte er ein allzu überzeugendes Schauspiel aufgeführt. »So… sofort?«
    Sie rutschte unruhig auf ihrem Platz. »In aller Stille. Wie die Gelegenheit sich bietet.«
    Cazaril schluckte. »Ich werde sehen, was ich erreichen kann, Hoheit.«
    Auf der Treppe zu seinem eigenen Gemach, ein Stockwerk tiefer, stieg in Cazaril die Erinnerung an seine Zeit als Page in eben dieser Burg auf. Er hatte sich ein bisschen was eingebildet auf seine Künste als Schwertkämpfer, weil er ein wenig besser war als das halbe Dutzend anderer hochwohlgeborener Flegel, die seine Pflichten und seine Ausbildung im Hause des Herzogs teilten. Eines Tages kam ein neuer, junger Page, ein kleiner, ruppiger Kerl. Der Waffenmeister des Herzogs forderte Cazaril auf, bei der nächsten Übungsstunde gegen den Neuen anzutreten. Cazaril hatte inzwischen den ein oder anderen netten Angriff einstudiert, darunter auch ein Gefuchtel, das mit einer echten Klinge den meisten seiner Kameraden sauber die Ohren abgetrennt hätte. Diese spezielle Technik probierte er auch bei dem Neuankömmling aus und endete schließlich mit der abgestumpften Klinge glücklich am Kopf seines Gegners – nur um beim Blick nach unten festzustellen, dass die leichte Übungsklinge des anderen gegen seinen Unterleibsschutz drückte und fast zur Hälfte durchgebogen war.
    Dieser Page war später, wie Cazaril gehört hatte, der Waffenmeister des Königs von Brajar geworden. Cazaril entwickelte sich mit der Zeit zu einem mittelmäßigen Schwertkämpfer – seine Interessen waren stets zu breit gestreut gewesen, als dass er die zu wahrer Meisterschaft notwendige Besessenheit hätte aufrechterhalten können. Aber nie vergaß er den Augenblick, wo er überrascht auf seinen nachgespielten Tod hinabblickte.
    Es verwirrte ihn, dass seine erste Stunde mit der zarten Iselle ausgerechnet diese alte Erinnerung emporspülte. Ein unheimliches Aufflackern von Stärke, die in so unterschiedlichen Augen brannte … wie war noch mal der Name des kleinen Pagen gewesen …?
    Cazaril stellte fest, dass sich während seiner Abwesenheit einige weitere Gewänder und Hosen auf seinem Bett eingefunden hatten. Wenn er richtig riet, waren es Überbleibsel aus den jüngeren und dünneren Tagen des Majordomus. Cazaril verstaute sie in der Truhe am Fuße des Bettes und erinnerte sich an das Buch des toten Wollhändlers, das dort immer noch in der Tasche des Überwurfs lag. Er nahm es heraus und überlegte, ob er es hinunter zum Tempel bringen sollte. Dann aber legte er es wieder zurück. Womöglich verbarg sich in diesen verschlüsselten Seiten ein Teil der moralischen Gewissheit, die er im Auftrag der Prinzessin suchen sollte – die zu suchen er sie provoziert hatte! Vielleicht fand er hier einen deutlicheren Beweis gegen oder auch zu Gunsten des gedemütigten Richters. Er würde das Buch erst einmal selbst in Augenschein nehmen. Womöglich bot es ihm ja auch einen ersten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse Valendas.
     
    Nach dem Mittagessen hielt Cazaril ein angenehmes kleines Nickerchen. Er war noch nicht wieder ganz wach, als auch schon Ser dy Ferrej an seine Tür klopfte und die Bücher und Aufzeichnungen ablieferte, die zur Kanzlei der Prinzessin gehörten. Kurz darauf erschien Betriz mit einem Kästchen voller Briefe, die er noch

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