Chalions Fluch
Darthacan stattzufinden, verlief der Ritt auch weitestgehend schweigsam, was zur erholsamen Atmosphäre beitrug.
Dann ging es zum Abendessen, und dann aufs Gemach, wo Cazaril sich damit beschäftigte, seine neue Gebrauchtkleidung anzuprobieren, sie zusammenzufalten und wegzupacken. Anschließend versuchte er, die ersten paar Seiten aus dem Buch des armen toten Narren von einem Wollhändler zu entschlüsseln. Über dieser Aufgabe wurden ihm die Augen schwer, und er schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen durch.
Und wie es angefangen hatte, ging es fort. Am Morgen gab er den beiden bezaubernden jungen Damen Stunden in Darthacan oder Roknari oder Geographie oder Rechnen oder Geometrie. Für die Geographie entwendete er die guten Landkarten von Teidez’ Privatlehrer und unterhielt die Prinzessin dann mit schicklich bearbeiteten Berichten von einigen seiner interessanteren früheren Reisen durch Chalion, Ibra, Brajar, Groß Darthaca sowie durch die fünf ständig zerstrittenen Fürstentümer der Roknari entlang der Nordküste.
Seine weniger weit zurückliegenden Beobachtungen der Inseln von Roknar aus Sklavenperspektive bearbeitete er noch viel sorgfältiger. Iselle und Betriz zeigten unverhohlenes Desinteresse an höfischem Roknari, doch sie reagierten auf genau dasselbe Heilmittel wie die jungen Pagen aus dem Haushalt des Herzogs von Guarida, die Cazaril einst in dieser Sprache unterwiesen hatte: Für jeweils zwanzig Vokabeln in höfischem Roknari, die sie erfolgreich gelernt hatten, bot er den Damen ein Roknari-Schimpfwort an (wenn er auch die vulgärsten Begriffe aussparte). Sie würden kaum jemals Gelegenheit haben, diese unflätigen Worte anzuwenden, doch es mochte sich durchaus als nützlich erweisen, wenn sie alles verstehen konnten, was in ihrer Gegenwart geäußert wurde. Und sie kicherten so bezaubernd …
Mit einiger Beklommenheit ging Cazaril auch an die erste ihm zugewiesene Aufgabe heran und stellte in aller Stille Nachforschungen über die Redlichkeit des herzoglichen Justizrates an. Versteckte Fragen an die Herzogin und dy Ferrej verschafften ihm zwar Hintergrundwissen, aber keine Gewissheit: Keiner der beiden hatte bisher die beruflichen Fähigkeiten des Mannes selbst in Augenschein nehmen können, und die gesellschaftlichen Kontakte beschränkten sich auf alltägliche Gelegenheiten. Cazaril unternahm einige Ausflüge in die Stadt und suchte nach Menschen, die ihn vor siebzehn Jahren gekannt hatten und offen mit ihm sprechen würden. Das Ergebnis war wenig ermutigend. Die einzige Person, die ihn mit Gewissheit erkannte, war ein älterer Bäcker, der auf eine lange und lukrative Laufbahn als Süßwarenlieferant für die Pagen des Schlosses zurückblicken konnte. Aber er war ein liebenswürdiger Bursche, der mit Rechtshändeln nichts im Sinn hatte.
Cazaril arbeitete sich Blatt für Blatt durch das Notizbuch des Wollhändlers, so rasch es seine anderen Pflichten zuließen. Ein paar wirklich Abscheu erregende frühe Versuche des Mannes, die Dämonen des Bastards herabzubeschwören, hatten sich als gänzlich wirkungslos erwiesen, wie Cazaril erleichtert feststellte. Der Name des toten Duellkämpfers wurde nie erwähnt, ohne dass ein paar beleidigende Adjektive hinzugefügt waren. Manchmal standen auch nur die Adjektive da. Der noch lebendige Richter wurde gar nicht ausdrücklich genannt. Doch bevor Cazaril das Knäuel auch nur zur Hälfte entwirrt hatte, wurde die Angelegenheit seinen ungeübten Händen entzogen.
Ein Ermittlungsbeamter traf ein, vom Hofe des Herzogs von Baocia in der lebhaften Stadt Taryoon – dorthin hatte der Sohn der alten Herzogin seine Residenz verlegt, nachdem er das Erbe seines Vaters angetreten hatte. Cazaril rechnete im Kopf nach: Seit dem Fest war gerade so viel Zeit verstrichen, wie nötig war, damit die Herzogin einen Brief an ihren Sohn schreiben und abschicken konnte, der Brief gelesen wurde und die notwendigen Befehle ihren Weg ins Justizministerium des Herzogtums nahmen, zuzüglich der Zeit, die der Ermittlungsbeamte selbst benötigte, um sich und seine Begleiter auf die Reise vorzubereiten. Vorrechte, in der Tat. Cazaril war nicht sicher, wie sehr der Herzogin tatsächlich die Rechtspflege am Herzen lag. Aber ganz gewiss stachelte es ihren hausfraulichen Ehrgeiz an, wenn ein Feind frei herumlief und nicht ordentlich verstaut und fortgeräumt war.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass der Richter Vrese in der Nacht mit zwei Dienstboten und einigen hastig
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