Chalions Fluch
Buchführung für Iselles Kanzlei betrifft – das sollte ein Kinderspiel sein für jemanden, der schon mal eine Festung verwaltet hat. Was sagt Ihr dazu, mein lieber Cazaril?«
Die Vorstellung war verlockend und erschreckend zugleich. »Die belagerte Festung wäre mir lieber!«
Die Fröhlichkeit wich aus dem Antlitz der Herzogin. Sie beugte sich vor und klopfte ihm leicht aufs Knie. Mit gesenkter Stimme hauchte sie: »Genau das wird sie sein, bald genug.« Sie hielt kurz inne und musterte ihn. »Ihr habt mich gefragt, ob Ihr etwas tun könnt, meine Last zu verringern. Im Großen und Ganzen ist das nicht der Fall. Ihr könnt mich nicht jünger machen, und Ihr könnt … viele Dinge nicht ändern.« Erneut fragte sich Cazaril, wie schwer die merkwürdig anfällige Gesundheit ihrer Tochter auch sie selbst in Mitleidenschaft zog. »Aber könnt Ihr Euch nicht dieses eine kleine ›Ja‹ für mich abringen?«
Sie bettelte ihn an. Sie bettelte ihn an. Das war grundverkehrt! »Selbstverständlich könnt Ihr über mich verfügen, Hoheit. Ich meine nur … es ist nur so … seid Ihr sicher?«
»Ihr seid hier kein Fremder, Cazaril. Und ich benötige dringend jemanden, dem ich vertrauen kann.«
Sein Herz schmolz dahin. Oder vielleicht versagte eher sein gesunder Menschenverstand. Er senkte den Kopf. »Dann bin ich ganz der Eure.«
»Iselle!«
Die Ellbogen auf die Knie gestützt, blickte Cazaril zu ihr hinüber, und auf dy Ferrej, der nachdenklich die Stirn in Falten legte, und dann wieder zurück auf das entschlossene Gesicht der alten Dame. »Ich verstehe.«
»Davon bin ich überzeugt. Und deshalb, Cazaril, möchte ich Euch an ihrer Seite haben!«
4
A
m nächsten Morgen begleitete die Herzogin persönlich Cazaril in den Unterrichtsraum und stellte ihn dort den jungen Damen vor. Das sonnendurchflutete kleine Gemach lag an der Ostseite des Bergfrieds, im obersten Stockwerk, das von Prinzessin Iselle, Lady Betriz, der Kammerfrau und einem Dienstmädchen bewohnt wurde. Prinz Teidez hatte für seinen vergleichbaren kleinen Hausstand Räumlichkeiten im neuen Gebäude jenseits des Innenhofs zur Verfügung. Cazaril nahm an, dass diese Gemächer ein wenig großzügiger bemessen waren, und vermutlich besser beheizt. Iselles Unterrichtsraum war einfach ausgestattet und beinhaltete zwei kleine Tischchen, Stühle, ein einsames, halb leeres Bücherregal und verschiedene Truhen. Nahm man noch Cazaril hinzu, der sich unter den niedrigen Deckenbalken riesig und unbehaglich fühlte, sowie die beiden jungen Frauen, hatte der Raum schon die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit erreicht. Die allgegenwärtige Kammerfrau musste mit ihrem Nähzeug ins Nachbarzimmer ausweichen, obwohl die Türen dazwischen geöffnet blieben.
Es machte also fast den Anschein, als sollte Cazaril eine ganze Schulklasse unterrichten, nicht nur eine einzige Schülerin. Doch ein Mädchen von Iselles Stand war niemals allein, besonders nicht im Beisein eines Mannes, und sei es auch ein vorzeitig gealtertes und kränkelndes Mitglied ihres eigenen Haushalts.
Cazaril wusste nicht, was die beiden Damen von dieser stillschweigenden Übereinkunft hielten, aber er war insgeheim erleichtert. Nie zuvor hatte er sich auf so abstoßende Weise männlich gefühlt – ungehobelt, linkisch und minderwertig. Alles in allem war die vergnügte und friedliche, feminine Atmosphäre derart verschieden von der Ruderbank einer Roknari-Galeere, wie Cazaril es sich nur vorstellen konnte. Er unterdrückte eine Aufwallung beinahe hysterischer Freude über diesen Kontrast, als er sich unter dem Türsturz hindurchduckte und den Raum betrat.
Die Herzogin kündigte ihn knapp als den neuen Privatschreiber und Tutor für Iselle an: „… wie schon dein Bruder einen hat!« Eine sichtlich unerwartete Gabe, die Iselle nach einem Augenblick des Erstaunens ohne Einwand akzeptierte. Ihrem berechnenden Blick zufolge genoss sie durchaus die neue Situation und den Zugewinn an Status, den der Unterricht durch einen Mann mit sich brachte. Auch Lady Betriz blickte eher interessiert und aufmerksam als argwöhnisch oder feindselig, und das beruhigte Cazaril.
Er ging davon aus, dass er gelehrsam genug wirkte, um die jungen Damen zu täuschen: Er trug das gepflegte braune Gewand des Wollhändlers, das inzwischen vom silberbeschlagenen Gürtel des Majordomus’ gehalten wurde. Auf das Schwert hatte Cazaril allerdings verzichtet. Stattdessen hatte er sich in weiser Voraussicht mit sämtlichen Büchern
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