Chalions Fluch
Cazaril immer wieder berichtigend eingriff.
Inzwischen hatten sie sich ihr Mittagessen wahrhaft verdient, fand Cazaril. Aber es lag noch eine unangenehme Aufgabe vor ihm, auf der die Herzogin strikt bestanden hatte. Er setzte sich gerade hin und räusperte sich, als die Mädchen schon unruhig wurden und aufstehen wollten.
»Das war eine ziemlich Aufsehen erregende Geste, die Ihr gestern am Tempel gezeigt habt, Hoheit.«
Sie lächelte breit, und ihre merkwürdig schweren Augenlider strafften sich. »Vielen Dank, Kastellan.«
»Eine eindrucksvolle Kränkung gegenüber einem Mann, der sich weder verteidigen noch davonlaufen konnte. Die Gaffer im Publikum waren sehr belustigt.«
Unbehaglich kniff sie die Lippen zusammen. »Es gibt viele Übel in Chalion, gegen die ich hilflos bin. Es war das Mindeste, das ich tun konnte.«
»Wenn es Recht war, habt Ihr auch richtig gehandelt«, räumte Cazaril mit einem täuschend freundlichen Nicken ein. »Sagt mir, Prinzessin, was habt Ihr zuvor unternommen, um Euch von der Schuld dieses Mannes zu überzeugen?«
»Ser dy Ferrej hat es gesagt. Und ich weiß, dass er vertrauenswürdig ist.«
»Ser dy Ferrej hat gesagt, dass er nur über den Richter gehört hat, er habe sich vom Duellkämpfer bestechen lassen. Ich erinnere mich genau an seine Worte, weil er es eigens hervorgehoben hatte. Niemals hat er behauptet, aus erster Hand über die Tat Bescheid zu wissen. Habt Ihr vielleicht nach dem Essen noch einmal mit ihm gesprochen und Näheres darüber erfahren, wie er zu seiner Einschätzung gelangte?«
»Nein. Hätte ich jemandem erzählt, was ich vorhabe, hätte man es mir verboten.«
»Aber Lady Betriz habt Ihr es dennoch erzählt.« Cazaril bedachte die dunkelhaarige Frau mit einem Nicken.
Betriz straffte sich und erwiderte misstrauisch: »Deswegen habe ich vorgeschlagen, sie soll die erste Flamme befragen.«
Cazaril zuckte die Achseln. »Die erste Flamme, soso. Aber Eure Hand ist jung und kräftig, und Ihr bewegt sie geschickt, Lady Iselle. Seid Ihr sicher, dass Ihr die erste Flamme nicht allein aus eigener Kraft zu Stande gebracht habt?«
Sie blickte noch beunruhigter drein. »Aber die Bürger haben mir Beifall gezollt …«
»In der Tat. Im Durchschnitt die Hälfte aller Bittsteller, die vor die Richterbank treten, muss zornig und unzufrieden wieder abziehen. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass ihnen ein Unrecht widerfahren ist.«
Das hatte gesessen! Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Es war kein sonderlich angenehmer Anblick, wie sie von Uneinsichtigkeit in Betroffenheit verfiel. »Aber … aber …«
Cazaril seufzte. »Ich möchte nicht von einem Irrtum sprechen, Hoheit. Diesmal nicht. Ich stelle nur fest, dass Ihr blindlings gehandelt habt. Und solltet Ihr nicht geradenwegs vor eine Wand gelaufen sein, habt Ihr es nur der Gnade der Götter zu verdanken und nicht Euren eigenen Vorkehrungen.«
»Oh.«
»Womöglich habt Ihr einen ehrbaren Menschen verleumdet. Vielleicht aber habt Ihr auch der Gerechtigkeit gedient. Ich weiß es nicht. Wichtig ist nur … Ihr wisst es ebenso wenig!«
Ihr »Oh« war diesmal kraftlos und kaum zu hören.
Cazarils Sinn fürs Praktische, der ihn schon durch so viele knifflige Situationen gebracht hatte, ließ ihn noch hinzufügen: »Und ob es jetzt Recht oder Unrecht war, Ihr habt Euch einen Feind gemacht, ihn aber lebend in Eurem Rücken gelassen. Das zeugt von Ritterlichkeit – und von schlechter Taktik!« Verflucht, diese Bemerkung war nicht für die Ohren von Edelfräulein geeignet … Mit einiger Mühe unterdrückte er das Verlangen, die Hände vor den Mund zu schlagen – eine Geste, die seinem Ruf als hochmütigem und ernsthaftem Erzieher nicht eben dienlich gewesen wäre.
Iselle hob die Brauen und hielt sie diesmal dort, für einen Augenblick. Lady Betriz tat es ihr gleich.
Nach einer beunruhigend langen, nachdenklichen Stille bemerkte Iselle: »Ich bedanke mich für Euren guten Rat, Kastellan.«
Er nickte. Sehr gut! Nachdem er diese heikle Situation gemeistert hatte, würde der Rest leichter werden. Jetzt aber – den Göttern sei Dank – wartete die großzügige Speisetafel der Herzogin auf ihn.
Iselle lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß. »Cazaril, Ihr seid nicht nur mein Privatlehrer, sondern auch mein Schreiber, ist es nicht so?«
Cazaril ließ sich wieder auf die Kiste sinken. »Ja, Hoheit? Soll ich Euch bei einem Schreiben zur Hand gehen?« Nach dem Mittagessen? hätte er beinahe noch
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