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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Sklaven gleichermaßen, von edlem oder von gemeinem Blut. Und ich war jedermann ein Freund, und ich lächelte. Ich hatte keine Angst mehr. Nun, ich habe trotzdem darauf geachtet, nicht mehr am Ruder zusammenzubrechen.«
    Cazaril sprach langsamer, grüblerisch. »Deshalb bin ich inzwischen dankbar, wann immer ich wieder Furcht empfinde. Für mich ist es ein Zeichen, dass ich am Ende doch nicht verrückt geworden bin. Oder dass ich mich zumindest allmählich wieder davon erhole. Die Angst ist mein Freund.« Mit einem entschuldigenden Lächeln blickte er auf.
    Palli saß da, stocksteif gegen die Wand gelehnt; seine Beine waren angespannt, und seine Augen schauten so groß und rund wie Untertassen. Das Grinsen auf seinem Gesicht war wie festgefroren. Cazaril musste laut auflachen.
    »Bei den Göttern, Palli, vergib mir. Ich wollte dich nicht ins Vertrauen ziehen und dir meine Sorgen aufbürden, damit du sie davonträgst.« Oder vielleicht doch; schließlich würde Palli morgen fort sein. »Das ist schon eine bunte Menagerie, die ich dir da aufgeladen habe. Es tut mir Leid!«
    Palli wischte die Entschuldigung beiseite, als schlüge er nach einem stechenden Insekt. Seine Lippen bewegten sich. Er schluckte und brachte schließlich hervor: »Bist du sicher, dass es nicht nur ein Sonnenstich war?«
    Cazaril lachte in sich hinein. »Oh, ich hatte auch einen Sonnenstich, natürlich. Aber ein Sonnenstich klingt nach ein oder zwei Tagen wieder ab, wenn er dich nicht umbringt. Mein Zustand dauerte länger an … Monate.« Bis zu diesem letzten Vorfall mit dem aufsässigen, verängstigten Jungen aus Ibra, der zu Cazarils letzter Auspeitschung führte. »Wir Sklaven …«
    »Hör auf damit!«, rief Palli und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
    »Womit?«, fragte Cazaril verständnislos.
    »Hör auf, so zu reden. Wir Sklaven. Du bist ein Edler von Chalion!«
    Cazaril lächelte verzerrt. Sanft sagte er: »Ein Edler am Ruder? Ein schwitzender, pissender, fluchender, grunzender Herr? Nein, Palli, auf den Galeeren gab es weder Edle noch Gemeine. Wir waren Menschen oder Tiere, und wer sich letztendlich als was erwies, hatte wenig mit Geburt oder Geblüt zu tun. Der großartigste Mensch, dem ich dort begegnet bin, war ein Gerber, und ich würde augenblicklich seine Füße küssen vor Freude, wenn ich erfahren könnte, dass er noch lebt! Wir Sklaven, wir Herren, wir Narren, wir Männer und Frauen, wir Sterblichen, wir Spielzeug der Götter – es ist alles das Gleiche, Palli. Für mich sind sie nun alle gleich.«
    Nach einem tiefen Atemzug wechselte Palli abrupt das Thema und sprach über die alltäglichen Angelegenheiten, die mit der Führung seiner Begleitmannschaft vom Ritterorden der Tochter einhergingen. Cazaril fand sich plötzlich in einem Gespräch wieder, in dem es darum ging, mit welchen nützlichen Kniffen man Leder geschmeidig halten oder Strahlfäule an Pferdehufen behandeln konnte. Kurz darauf zog Palli sich für die Nacht zurück. Eine Flucht – als ordentlicher Rückzug getarnt, aber Cazaril erkannte es trotzdem.
    Mit all seinen Schmerzen und Erinnerungen ging Cazaril zu Bett. Trotz des Festmahls und des Weins konnte er lange nicht einschlafen. Vielleicht war es nur Täuschung und Gerede gewesen, um Palli zu beruhigen, vielleicht war die Angst auch tatsächlich sein Freund, aber die Brüder dy Jironal waren es ganz sicher nicht! Die Roknari haben behauptet, du wärst an einem Fieber verstorben. Das war eine dreiste Lüge, die zugleich – klugerweise! – inzwischen nicht mehr nachzuprüfen war. Nun – hier, im ruhigen Valenda, war er in Sicherheit.
    Er hoffte nur, er hatte Palli eindringlich genug gewarnt, damit er sich am Hofe von Cardegoss vorsichtig bewegte und nicht unversehens alten Unrat aufwühlte. Cazaril wälzte sich in der Dunkelheit herum und erflehte flüsternd den Schutz der Frühlingsherrin für Palli. Und zu sämtlichen Göttern und auch zum Bastard betete er um Beistand für alle, die in dieser Nacht auf See waren.
     

 
6
     
     
    A
    ls im Tempel die Feierlichkeiten für die Ankunft des Sommers anstanden, wurde Iselle nicht um eine Wiederholung ihrer Darstellung der Frühlingsherrin gebeten. Diese Rolle kam traditionell einer frisch verheirateten Frau zu. Eine überaus schüchterne und zurückhaltende junge Braut räumte als Verkörperung des regierenden Gottes den Thron für eine gleichermaßen wohl erzogene, hochschwangere Ehefrau mittleren Alters. Aus den Augenwinkeln beobachtete Cazaril, wie der

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