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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Schiffe, weder bei ihren Männern noch bei den Sklaven.«
    »Ah.« Erleichtert setzte Palli sich bequemer hin. Dann aber – er konnte nun mal nicht aus seiner Haut – fragte er nach: »Und was ist mit den verkommenen Kapitänen?«
    »Die legen nur Wert auf Verschwiegenheit, was rasch tödlich enden kann. Mir ist nichts geschehen. Wahrscheinlich war ich zu knochig. Aber einigen der jüngeren Männer, den zarten Jünglingen … Sie waren die Opfer, damit man uns in Ruhe ließ. Wir Sklaven wussten das, und wir versuchten, freundlich zu ihnen zu sein, wenn sie auf die Ruderbänke zurückkehrten. Manche weinten. Manche verstanden es, für ihr Unglück Gefälligkeiten einzutauschen … Die wenigsten von uns missgönnten ihnen die zusätzlichen Rationen oder kleinen Erleichterungen, die sie sich so teuer erkauft hatten. Es war ein gefährliches Spiel, denn die Roknari, die sich insgeheim mit ihnen einließen, konnten sich jeden Augenblick auch gegen sie wenden. Sie töteten dann ihre Opfer, als könnten sie damit auch ihre Sünde aus der Welt schaffen.«
    »Deine Geschichten lassen mir die Haare zu Berge stehen. Bisher dachte ich immer, ich wüsste, wie es in der Welt zugeht, aber … hm. Zumindest ist dir das Schlimmste erspart geblieben.«
    »Ich weiß nicht, was das Schlimmste ist«, sagte Cazaril gedankenverloren. »Einmal wurde ich für einen grausamen Spaß missbraucht, einen ganzen höllischen Nachmittag lang. Im Vergleich dazu mutet das Schicksal vieler dieser Jungen noch freundlich an, aber in meinem Fall hat kein Roknari seinen Hals riskiert.« Cazaril wurde sich bewusst, dass er bislang niemandem von diesem Zwischenfall erzählt hatte, weder den freundlichen Akolythen im Siechenhaus des Tempels, noch jemandem im Haushalt der Herzogin. Bis zu diesem Augenblick hatte er niemanden gehabt, mit dem er reden konnte. Beinahe eifrig erzählte er weiter:
    »Mein Pirat beging einmal den Fehler, ein schwerfälliges Handelsschiff aus Brajar anzugreifen. Zu spät bemerkte er die begleitenden Kriegsschiffe. Als wir fortgejagt wurden, versagte ich am Ruder und brach in der Hitze zusammen. Damit ich dennoch zu etwas nütze war, löste der Rudermeister mich aus meinen Ketten. Er zog mich aus und hing mich über die Heckreling, die Hände an die Knöchel gebunden, um unsere Verfolger zu verspotten. Armbrustbolzen schlugen rings um mich in die Reling und ins Heck. Ich weiß nicht, ob es an der Zielgenauigkeit oder an der Unfähigkeit der Bogenschützen aus Brajar lag, oder ob ich es der Gnade eines Gottes verdanke, dass ich mein Leben nicht mit ein paar Pfeilen im Arsch beendet habe. Vielleicht haben sie mich für einen Roknari gehalten. Vielleicht haben sie nur versucht, mich von meinem Elend zu erlösen.«
    Als er bemerkte, wie Palli die Augen aufriss, übersprang Cazaril einige der groteskeren Einzelheiten. »Du erinnerst dich, wie wir am Ende in Gotorget Monate in Furcht gelebt hatten, bis wir uns an sie gewöhnten? Es war eine Art Schmerz, der an den Eingeweiden nagte. Wir lernten, diesen Schmerz zu missachten, aber er hörte niemals ganz auf.«
    Palli nickte.
    »Aber ich habe herausgefunden … Nun, es ist merkwürdig. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.« Bis jetzt hatte er nie die Gelegenheit gehabt, es in Worte zu kleiden und sich selbst vor Augen zu führen. »Ich habe herausgefunden, dass es einen Ort jenseits der Angst gibt. Wenn in Körper und Geist einfach nichts mehr geblieben ist, was Furcht empfinden kann. Die Welt, die Zeit … sie fügen sich neu zusammen. Mein Herzschlag beruhigte sich. Ich habe nicht mehr geschwitzt, nicht mehr gesabbert. Es war beinahe wie eine Trance. Als die Roknari mich an die Reling hingen, habe ich geheult vor Angst und Scham, litt Todesqualen aus Abscheu vor der ganzen Situation. Als die Brajaner schließlich beidrehten und der Rudermeister mich losmachte, war ich verbrannt von der Sonne – und ich lachte! Die Roknari glaubten, ich hätte den Verstand verloren. Meine armen Leidensgenossen auf der Ruderbank dachten wohl das Gleiche. Aber ich wusste es besser. Die ganze Welt war … neu.
    Natürlich war diese ganze Welt nur ein paar Dutzend Schritte lang, und sie bestand aus Holz und schaukelte auf dem Wasser. Und die Zeit bestand nur aus einer Umdrehung des Stundenglases. Ich plante jede Stunde meines Lebens so sorgfältig, wie andere ein Jahr planen, und ich plante nicht weiter als eine Stunde. Alle Menschen waren freundlich und schön, ein jeder auf seine Weise, Roknari und

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