Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
Fenstersimses abzufallen. Zwischen den Baumwipfeln tief unten war das sinnverwirrende Funkeln auf der Wasseroberfläche des Flusses gerade eben noch zu sehen.
    Die Menagerie lag außerhalb der Befestigungsanlagen, hinter den Gärten, und war eine Erweiterung der Stallungen. Auf dem Weg dorthin verlief Cazaril sich nur ein einziges Mal. Hätte es keine weiteren Hinweise gegeben, hätte er den Ort allein schon am scharfen, stechenden Geruch erkannt, der weder von menschlichen Ausscheidungen noch von Pferdemist herrühren konnte. Cazaril blickte einen Bogengang des steinernen Bauwerks entlang, während seine Augen sich allmählich auf das schattige Innere einstellten. Schließlich trat er zaghaft ein.
    Eine Reihe einstiger Stallplätze war umgebaut worden und diente nun einem Paar Schwarzbären mit wundervoll glänzendem Fell als Gehege. Eines der Tiere schlief auf einem Haufen sauberem, goldgelbem Stroh. Der andere Bär schaute zu Cazaril auf, schob seine Schnauze durch die Gitter und schnüffelte hoffnungsvoll, als Caz vorüberging. In den Ställen auf der anderen Seite des Gangs waren merkwürdige Geschöpfe untergebracht, die Cazaril nicht einmal zu benennen wusste. Sie ähnelten großen, langbeinigen Ziegen, hatten aber lange, geschwungene Hälse, sanfte, feuchte Augen und ein dichtes, weiches Fell. An der Seite befand sich ein Raum mit einem Dutzend glänzend gefärbter Vögel, die auf Sitzstangen saßen, sich putzten und leise Laute von sich gaben. Weitere kleine, aber ähnlich schillernde Vögel zwitscherten und flatterten in Käfigen, die entlang der Wand aufgereiht waren. Gegenüber der Volieren, in einem Erker, stieß Cazaril endlich auf Menschen: Dort stand ein Tierpfleger in der Livree des königlichen Hauses; neben ihm saß ein dicker Mann mit überkreuzten Beinen auf einem Tisch. Er hielt einen Leoparden an einem juwelengeschmückten Halsband. Cazaril erstarrte, als der Mann den Kopf in die Nähe der weit geöffneten Kiefer der Raubkatze beugte.
    Mit Entschiedenheit bürstete der Mann über das Fell des Tieres. Eine Wolke aus gelben und schwarzen Haaren stieg um das Paar herum auf, als der Leopard sich auf dem Tisch wälzte, was Cazaril nach einem Augenzwinkern als katzenhaften Ausdruck von Genuss erkannte. Cazarils Aufmerksamkeit wurde so sehr von dem Leoparden in Anspruch genommen, dass er den Mann erst auf den zweiten Blick als König Orico erkannte.
    Cazaril hatte ihn zuletzt mehr als einem Dutzend Jahren gesehen. Die Zeit hatte es nicht gut mit dem König gemeint. Orico war nie eine besonders ansehnliche Person gewesen, nicht einmal in der Blüte seiner Jugend. Er war von unterdurchschnittlicher Körpergröße, mit kurzer Nase, die irgendwann vor seinem zwanzigsten Geburtstag bei einem Reitunfall auf unglückliche Weise gebrochen war und die ihm nun wie ein zerdrückter Pilz im Gesicht hing. Sein Haar, einst gewellt und von rostroter Farbe, war inzwischen rötlich grau, immer noch gewellt, aber arg gelichtet. Außer dem Haar war allerdings nichts an ihm dünner geworden, im Gegenteil: Sein Körper war extrem in die Breite gegangen. Sein Gesicht wirkte fahl und aufgedunsen, und dicke Tränensäcke hingen unter seinen Augen. Er zwitscherte der gefleckten Katze zu, die ihren Kopf an der Tunika des Königs rieb und dabei weitere Haare zurückließ. Dann leckte das Tier mit einer waschlappengroßen Zunge über den Brokat und folgte dabei augenscheinlich dem Verlauf eines großen Soßenflecks, der sich über den eindrucksvollen Bauch des Königs hinzog. Orico hatte die Ärmel hochgekrempelt; auf seinen Armen war ein halbes Dutzend verkrusteter Kratzer zu sehen. Die große Katze bekam einen der bloßen Arme zu fassen und hielt ihn für einen Moment zwischen ihren gelben Zähnen, biss aber nicht zu. Cazaril löste seine verkrampften Finger vom Schwertgriff und räusperte sich.
    Als der König sich ihm zuwandte, ließ Cazaril sich auf ein Knie sinken. »Majestät, ich überbringe Euch die respektvollen Grüße der Herzoginwitwe von Baocia, und diesen ihren Brief.« Er hielt dem König das Schreiben entgegen und fügte hinzu – nur für den Fall, dass niemand es bisher erwähnt hatte: »Prinz Teidez und Prinzessin Iselle sind wohlbehalten hier eingetroffen.«
    »Ah, ja.« Der König nickte dem ältlichen Tierpfleger zu, der sich in Bewegung setzte und mit einer würdevollen Verbeugung den Brief von Cazaril entgegennahm.
    »Hoheit hat mich angewiesen, Euch das Schreiben persönlich auszuhändigen«, merkte

Weitere Kostenlose Bücher