Chalions Fluch
auf halbem Weg den südwärts reitenden Kurier, der von Ias’ Triumph kündete. Und innerhalb der Mauern des Zangres wurden ein Begräbnis und eine Krönung zugleich gefeiert.
Cazaril blickte nun auf diese Mauern. »Als Prinz Ias, der inzwischen König Ias war, aus dem Krieg zurückkehrte«, fuhr er fort, an Betriz gewandt, »befahl er, dass die unteren Fenster und die Zugänge zum Turm seines toten Vaters vermauert werden sollten. Und er verkündete, dass nie wieder ein Mensch seinen Fuß in das Gebäude setzen solle.«
Ein düsterer, flatternder Schemen stieg von der Turmspitze auf. Betriz stieß einen Angstschrei aus und duckte sich.
»Seither nisten die Krähen dort«, stellte Cazaril fest, legte den Kopf in den Nacken und beobachtete die schwarze Silhouette, die vor dem tiefblauen Himmel kreiste. »Ich glaube, sie gehören zum selben Schwarm wie die heiligen Krähen, die die Geistlichen des Bastards auf dem Tempelplatz füttern. Kluge Tiere! Die Akolythen halten sie als Haustiere und bringen ihnen das Sprechen bei.«
Iselle war näher herangekommen, während Cazaril vom Schicksal ihres königlichen Großvaters berichtet hatte. Nun fragte sie: »Was reden sie denn?«
»Nicht viel«, räumte Cazaril ein und lächelte ihr flüchtig zu. »Mir persönlich ist nie eine Krähe untergekommen, die mehr als drei Kreischlaute hervorbringen konnte. Obwohl einige Akolythen eindringlich beteuerten, die Vögel hätten mehr gesagt.«
Dy Sanda hatte einen Gardisten vorangeschickt, und dieserart vorgewarnt eilte nun eine Schar von Knechten und Dienstboten herbei, um den eintreffenden Gästen zur Hand zu gehen. Der Majordomus des Zangres stellte höchstpersönlich eine Trittbank für Prinzessin Iselle bereit. Womöglich gemahnte der ehrfurchtsvoll gebeugte Schopf des Mannes sie an ihre Würde, jedenfalls benutzte Iselle zur Abwechslung die Steighilfe und stieg mit damenhafter Anmut von ihrem Reittier. Teidez warf einem katzbuckelnden Pferdeknecht die Zügel zu und sah sich mit leuchtenden Augen um. Der Majordomus besprach sich rasch mit dy Sanda und Cazaril über ein Dutzend praktischer Einzelheiten, von der Unterkunft für die Pferde und Knechte bis hin – Cazaril grinste ob der Analogie – zur Unterkunft des Prinzen und der Prinzessin.
Dann geleitete der Majordomus die königlichen Geschwister zu ihren Räumlichkeiten, die im linken Flügel des Hauptgebäudes lagen. Dahinter folgte eine Prozession von Dienstboten, die das Gepäck heranbrachten. Teidez und sein Gefolge erhielten ein halbes Stockwerk, Iselle und ihre Damen die Etage darüber. Cazaril wurde ein kleines Gemach auf der Etage der Herren zugewiesen, wenn auch ganz am Ende des Flures. Er fragte sich, ob von ihm erwartet wurde, den Treppenaufgang zu bewachen.
»Ruht Euch erst einmal aus und erfrischt Euch«, empfahl der Majordomus. »Der König und die Königin werden Euch am Abend zu einem festlichen Bankett empfangen. Der gesamte Hof wird zugegen sein.« Ein ganzer Ansturm von Dienern trug Wasser, saubere Wäsche, Brot, Obst, Gebäck, Käse und Wein heran und versicherte den Besuchern aus Valenda auf diese Weise, dass sie in der Zwischenzeit nicht dem Tod durch Verhungern preisgegeben waren.
»Wo sind mein königlicher Bruder und meine Schwägerin?«, fragte Iselle den Majordomus.
Der verbeugte sich knapp. »Die Königin ruht. Der König ist in seiner Menagerie, die ihm stets großen Trost spendet.«
»Die würde ich gern sehen«, bemerkte Iselle sehnsüchtig. »Er hat mir oft davon geschrieben.«
»Lasst es ihn wissen. Er würde sich gewiss freuen, Euch den Ort zu zeigen«, versicherte ihr der Majordomus mit einem Lächeln.
Bald waren die Damen vollauf damit beschäftigt, in ihrem Gepäck zu wühlen und Kleider für das Bankett auszuwählen – ein Vorgang, bei dem Cazarils unbedarfte Unterstützung ganz sicher nicht erforderlich war. Er wies den Bediensteten an, den Schrankkoffer in seiner schmalen Kammer abzustellen und ihn allein zu lassen. Dann warf er die Satteltaschen auf sein Bett und durchstöberte sie auf der Suche nach einem Brief der Herzogin für König Orico. Die alte Dame hatte ihn strikt angewiesen, das Schreiben schnellstmöglich nach seiner Ankunft auszuliefern, und zwar in die Hände des Königs und keines anderen. Er nahm sich gerade genug Zeit, den Straßenstaub von seinen Händen zu waschen und einen raschen Blick durchs Fenster zu werfen. Die tiefe Schlucht, die auf dieser Seite der Burg verlief, schien direkt unterhalb des
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