Chalions Fluch
wurden unter den wachsamen Blicken dreier Pagen auf einem Tisch zur Schau gestellt – immerhin war es ja auch der vordringliche Zweck dieser Gegenstände, aller Welt den Wohlstand, den Witz oder die Großzügigkeit des Schenkenden zu zeigen. Der versammelte Adel schlenderte derweil nach und nach in die Banketthalle.
Der Prinz und die Prinzessin wurden an die erhöhte Tafel geleitet und erhielten ihre Plätze jeweils an der freien Seite des Königs oder der Königin. Neben ihnen saßen wiederum die beiden Brüder dy Jironal; Kanzler dy Jironal bedachte den vierzehnjährigen Teidez mit einem leicht verkrampften Lächeln, während Dondo sich offenkundig bei Iselle ins rechte Licht zu setzen versuchte. Allerdings konnte man deutlich bemerken, dass er selbst lauter über seine geistreichen Bemerkungen lachte als die Prinzessin. Cazaril hatte seinen Platz an einem der Tische, die senkrecht zur Stirnseite der Halle aufgestellt waren, am oberen Ende und nicht allzu weit von seiner Schutzbefohlenen entfernt. Zu seiner Rechten saß ein Mann mittleren Alters – wie sich herausstellte, ein Gesandter aus Ibra.
»Während meines letzten Aufenthalts in Eurer Heimat erfuhr ich freundliche Aufnahme von Euren Landsleuten«, wagte Cazaril sich nach der beiderseitigen Vorstellung höflich vorzutasten. Er beschloss allerdings, nicht auf die Einzelheiten einzugehen. »Was führt Euch nach Cardegoss, mein Herr?«
Der Ibraner lächelte ihm mit unverbindlicher Freundlichkeit zu. »Ihr seid ein Gefolgsmann der Prinzessin Iselle, nicht wahr? Nun, von den unbestrittenen Vorzügen der herbstlichen Jagd in Cardegoss abgesehen, bin ich hier, um im Auftrag des Königs von Ibra König Orico davon zu überzeugen, der jüngsten Erhebung des Thronfolgers in Süd-Ibra keine Unterstützung zu gewähren. Der Thronfolger hat Hilfe von Darthaca angenommen. Ich glaube, er wird bald erkennen müssen, dass dieses Geschenk eine zweischneidige Waffe ist, die sich allzu leicht gegen ihn selbst wendet.«
»Die Erhebung seines Erben muss für den König von Ibra eine schmerzhafte Auseinandersetzung sein«, bemerkte Cazaril wahrheitsgemäß, doch mit wohl erwogener Neutralität. Der alte Fuchs von Ibra hatte Chalion in den letzten dreißig Jahren oft genug hintergangen, um als zweifelhafter Freund und gefährlicher Gegner zu gelten. Dennoch: Wenn diese schreckliche, immer wieder aufflammende Auseinandersetzung mit seinem Sohn die Rache der Götter für seine Verschlagenheit war, musste man die Götter wirklich fürchten. »Ich kenne Oricos Gedanken nicht, aber auf mich macht es den Eindruck, als wäre es der sicherste Weg, der Jugend gegen das Alter beizustehen. Entweder schließen sie ein weiteres Mal Frieden, oder die Zeit wird eine Entscheidung herbeiführen. Ein Sieg über den eigenen Sohn wäre für den alten Mann nur eine andere Art der Niederlage.«
»Diesmal nicht. Ibra hat noch einen weiteren Sohn.« Der Gesandte blickte sich um und beugte sich dann näher an Cazaril heran. Er senkte die Stimme. »Und dies ist auch dem Thronfolger nicht entgangen. Um seine eigene Stellung zu sichern, hat er sich im letzten Herbst gegen seinen eigenen Bruder gewandt. Es war eine ebenso abscheuliche wie hinterhältige Tat, auch wenn der Thronfolger behauptet, dass er selbst sie nicht angeordnet hat, sondern dass einige seiner Speichellecker ein paar unbedachte Äußerungen von ihm falsch gedeutet und auf eigene Faust gehandelt hätten. Sie haben ihn allzu gut verstanden, denke ich! Der Versuch, den jungen Prinz Bergon beiseite zu schaffen, konnte vereitelt werden – den Göttern sei’s gedankt. Bergon wurde gerettet. Mit diesem Versuch aber hat der Thronfolger am Ende doch die Geduld seines Vaters über Gebühr beansprucht. Diesmal ist zwischen ihnen kein anderer Friede mehr denkbar als die bedingungslose Kapitulation Süd-Ibras.«
»Eine traurige Angelegenheit«, stellte Cazaril fest. »Ich hoffe, sie alle kommen wieder zur Vernunft.«
»O ja«, pflichtete der Gesandte ihm bei und lächelte anerkennend, dass Cazaril es sorgfältig vermieden hatte, Partei zu ergreifen. Er unternahm keine weiteren offenkundigen Überzeugungsversuche mehr.
Die Speisen im Zangre waren hervorragend. Cazaril aß so viel, bis er kaum noch geradeaus blicken konnte. Der Hof wechselte in die Halle über, die für den Tanz vorbereitet war. Dort schlief König Orico sogleich auf seinem Sessel ein. Cazaril beneidete ihn darum. Die Musikanten des Hofes waren so ausgezeichnet wie immer.
Weitere Kostenlose Bücher