Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
schädlicheren Einfluss hatte.
    Welchen Speisen er heute wohl gegenübertreten musste? Er lachte laut über sich selbst und dachte an die Rationen, mit denen er während der Belagerung hatte auskommen müssen. Immer noch grinsend, wälzte er sich aus dem Bett.
    Er schüttelte die Tunika aus, die er am gestrigen Nachmittag getragen hatte, und schnürte seine Manschetten auf, um einen trocknenden, halben Brotlaib zu bergen. Den hatte er auf Betriz’ Bitte in seinem weiten Ärmel verstaut, als das königliche Picknick am Fluss von nachmittäglichen Regenschauern unterbrochen worden war, die zwar zur Jahreszeit passten, aber dennoch höchst ungelegen kamen. Verwirrt überlegte er sich, ob die Unterbringung von Vorräten der eigentliche Verwendungszweck des höfischen Ärmels gewesen war, damals, als diese Ausstattung neu eingeführt wurde. Er schälte sich aus seinem Nachthemd, legte seine Hose an, verschnürte sie und ging schließlich zu seiner Waschschüssel hinüber.
    Hektisches Flattern erklang vor dem offenen Fenster. Aufgeschreckt blickte Cazaril zur Seite und sah eine der Burgkrähen auf dem breiten Steinsims landen. Sie legte den Kopf zur Seite und musterte ihn. Zweimal krächzte sie, dann machte sie einige merkwürdige murmelnde Laute. Cazaril trocknete sich belustigt das Gesicht ab, nahm das Brot und näherte sich vorsichtig dem Vogel. Er wollte versuchen, ob es eines der zahmen Tiere war und sich füttern ließ.
    Offenbar erspähte die Krähe das Brot, denn sie flog nicht wieder auf, als er herankam. Mit ausgestrecktem Arm hielt er ihr einen Brocken hin. Der glänzende Vogel betrachtete ihn einen Augenblick lang eindringlich; dann pickte er rasch den Krümel zwischen Cazarils Fingern hervor. Der unterdrückte ein Zucken, als der scharfe schwarze Schnabel gegen seine Hand stieß, aber nicht durch die Haut stach. Der Vogel bewegte sich leicht, schüttelte die Flügel und breitete einen Schwanz aus, an dem zwei Federn fehlten. Erneut raunte er etwas und krächzte dann wieder. Ein schriller, scharfer Lärm hallte durchs kleine Gemach.
    »Sag nicht immerzu kräh, kräh«, forderte Cazaril die Krähe auf. »Sag Caz, Caz!« Für einige Minuten unterhielt er sich und allem Anschein nach auch den Vogel, indem er dem Tier diese neue Sprache beizubringen versuchte. Er kam der Krähe sogar auf halbem Weg entgegen, indem er Cazaril! Cazaril! trällerte – in einem Tonfall, von dem er meinte, dass es eine ›vogelhafte‹ Aussprache sei. Doch trotz reichhaltiger Bestechungsgaben in Form von Brot wirkte das Tier noch viel unwilliger als Iselle bei Darthacan.
    Ein Klopfen an der Zimmertür unterbrach die Unterrichtsstunde, und geistesabwesend meinte Cazaril: »Ja?«
    Die Tür schwang auf. Die Krähe flatterte rückwärts und ließ sich durchs Fenster nach draußen fallen. Cazaril beugte sich einen Moment hinaus und blickte ihr hinterher. Erst stürzte sie nach unten, dann entfaltete sie die Flügel und erhob sich wieder. Wirbelnd ließ sie sich von einem morgendlichen Aufwind entlang der steilen Hänge der Schlucht davontragen.
    »Lord dy Cazaril, die …« Abrupt verstummte die Stimme. Cazaril stieß sich von der Fensterbank ab, wandte sich um und sah einen Pagen, der mit entsetztem Blick im Türrahmen stand. Mit einer verlegenen Röte wurde Cazaril sich bewusst, dass er sein Hemd noch nicht angezogen hatte.
    »Was ist, Junge?« Ohne sich Eile anmerken zu lassen, griff er beiläufig nach seiner Tunika, schüttelte sie ein weiteres Mal und zog sie über. »Was willst du denn?« Seine gedehnte Sprechweise ermunterte weder zu Kommentaren noch zu Rückfragen über die inzwi schen ein Jahr alte Verwüstung auf seinem Rücken.
    Der Page schluckte und gewann seine Stimme zurück. »Lord dy Cazaril, die Prinzessin Iselle wünscht, dass Ihr sie gleich nach dem Frühstück im grünen Zimmer aufsucht.«
    »Danke«, erwiderte Cazaril kühl. Mit einem Nicken entließ er den Pagen, und dieser eilte davon.
    Wie sich herausstellte, führte der morgendliche Ausflug, für den Iselle Cazarils Begleitung verlangte, nicht allzu weit. Es handelte sich nur um die versprochene Besichtigung in Oricos Menagerie. Der König selbst übernahm es, seine Schwester zu führen. Als Cazaril das grüne Zimmer betrat, fand er den Monarchen dösend in einem Stuhl vor, tief versunken in seinem Nach-Frühstücks-Nickerchen. Mit einem Schnarcher schreckte Orico hoch und rieb sich die Stirn, als würde sie schmerzen. Er wischte klebrige Krümel von seinem weiten

Weitere Kostenlose Bücher