Chalions Fluch
Königin Sara nahm gleichfalls nicht am Tanze teil, genoss aber offensichtlich die Musik: Ihr ausdrucksloses Gesicht wirkte entspannter, und ihre Hand schlug auf der Armlehne den Takt mit.
Cazaril schleppte sich mit schwerem Magen zu einer Seitenwand, lehnte sich mit den Schultern bequem dagegen und beobachtete die jüngeren und kräftigeren – oder weniger vollgefressenen – Feiernden dabei, wie sie sich anmutig hin und her bewegten, sich drehten und wiegten zu den zarten Klängen. Weder Iselle noch Betriz noch auch nur Nan dy Vrit konnten sich über einen Mangel an Tanzpartnern beklagen.
Cazaril blickte finster, als Betriz ihren Platz in der Reihe der Tanzenden gegenüber ihrem dritten … nein, ihrem fünften jungen Kavalier einnahm. Königin Ista war nicht das einzige besorgte Elternteil gewesen, das ihn zur Seite genommen hatte, bevor sie von Valenda abgereist waren. Auch Ser dy Ferrej hatte mit ihm gesprochen. Passt auf meine Betriz auf, hatte er eindringlich gebeten. Jetzt brauchte sie ihre Mutter oder die Hilfe einer älteren Dame, die weiß, wie die Dinge laufen, aber leider … Dy Ferrej war hin und her gerissen zwischen der Furcht vor einem Unglück und der Hoffnung auf eine gute Gelegenheit. Helft ihr, vor unwürdigen Verehrern auf der Hut zu sein, vor Mitgiftjägern, landlosen Schmarotzern – Ihr kennt diese Sorte. Vor Leuten wie mir? musste Cazaril sich unwillkürlich fragen. Andererseits, wenn sie auf einen verlässlichen, ehrbaren Mann trifft, würde ich mich dem Wunsch ihres Herzens nicht widersetzen. Ihr wisst schon, einen netten Burschen, wie zum Beispiel Euren Freund, den Grafen dy Palliar … Für Cazarils Ohren klang dieses leichtherzig geäußerte Beispiel nicht besonders willkürlich gewählt. Hatte Betriz vielleicht schon eine geheime Vorliebe entwickelt? Palli war an diesem Abend leider nicht anwesend. Nach der Einsetzung Lord Dondos in sein heiliges Amt war der Graf in seinen Bezirk zurückgekehrt. Cazaril hätte ein freundliches und vertrautes Gesicht in der Menge willkommen geheißen.
Eine Bewegung an der Seite erweckte Cazarils Aufmerksamkeit, und er erblickte ein Gesicht, das zwar vertraut war und zumindest ein kühles Lächeln zur Schau trug, das er aber nicht eben willkommen hieß. Kanzler dy Jironal verneigte sich knapp zum Gruß. Cazaril stieß sich von der Wand ab und erwiderte die Geste. Sein Verstand kämpfte sich durch einen Dunst aus Essen und Wein zu vollster Wachsamkeit.
»Dy Cazaril! Ihr seid es. Wir hielten Euch für tot!«
Darauf hätte er wetten können. »Nein, Herr. Ich konnte entkommen.«
»Einige Eurer Freunde waren besorgt, Ihr könntet desertiert sein …«
Keiner meiner Freunde wäre auf einen solchen Gedanken gekommen.
„… aber die Roknari haben uns berichtet, Ihr wärt verstorben.«
»Eine abscheuliche Lüge, Herr.« Cazaril sagte nicht, wessen Lüge – mehr Wagemut brachte er nicht auf. »Sie haben mich zusammen mit den nicht ausgelösten Männern auf die Galeeren verkauft.«
»Wie niederträchtig!«
»Das fand ich auch.«
»Es grenzt an ein Wunder, dass Ihr diese Tortur überlebt habt.«
»Es war ein Wunder.« Cazaril blinzelte und lächelte freundlich. »Habt Ihr wenigstens Euer Lösegeld zurückerhalten, als Preis dieser Lüge? Oder hat irgendein Dieb es eingesteckt? Mir würde der Gedanke gefallen, dass jemand für diese Täuschung bezahlen musste.«
»Daran erinnere ich mich nicht. Es war Angelegenheit des Quartiermeisters.«
»Nun, es war ein furchtbares Unglück. Doch am Ende hat sich alles noch zum Guten gewendet.«
»In der Tat. Bei Gelegenheit müsst Ihr mir mehr von Euren Abenteuern berichten.«
»Wenn es Euch beliebt, Herr.«
Dy Jironal nickte lächelnd, dann ging er weiter; offensichtlich beruhigt.
Cazaril erwiderte das Lächeln und war zufrieden mit seiner Selbstbeherrschung – wenn es nicht nur die nackte Furcht war. Es hatte den Anschein, als könne er immerzu weiterlächeln, lächeln und lächeln, ohne diesem verlogenen Schurken an die Kehle zu springen. Zum Schluss wird doch noch eine brauchbare Hofschranze aus dir.
Nachdem seine schlimmsten Befürchtungen beschwichtigt waren, gab Cazaril auch seine nutzlosen Versuche auf, unsichtbar zu bleiben. Er nahm all seinen Mut zusammen und forderte Lady Betriz zum Tanz auf. Er wusste, dass er groß gewachsen war und schlaksig und alles andere als graziös, aber zumindest war er nicht sturzbetrunken, und damit hatte er inzwischen schon mal einen Vorteil gegenüber der Hälfte
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