Chalions Fluch
der jungen Männer im Saal. Und nicht zu vergessen auch gegenüber Lord Dondo dy Jironal, der zunächst für eine ganze Weile sämtliche Tänze mit Iselle für sich beansprucht hatte, inzwischen allerdings mitsamt seinen großmäuligen Speichelleckern weitergezogen war, um entweder handfestere Vergnügungen zu suchen oder einen stillen Flur, in dem er sich übergeben konnte. Cazaril hoffte auf Letzteres. Betriz’ Augen glänzten in überschwänglicher Freude, als sie schwungvoll mit ihm tanzte.
Nach einer ganzen Weile wachte Orico auf; die Musikanten erlahmten, und der Abend näherte sich seinem Ende. Cazaril zog Pagen, Lady Betriz und Sera dy Vrit dazu heran, beim Abtransport und der sicheren Unterbringung von Iselles Beute zur Hand zu gehen. Teidez verschmähte den Tanz und hatte sich mehr der atemberaubenden Auswahl an Süßigkeiten gewidmet als dem Alkohol. Dennoch war es möglich, dass dy Sanda es infolgedessen noch vor dem Morgengrauen mit einem heftigen Übelkeitsanfall seines Schützlings zu tun bekam. Doch es war klar, dass der Junge eher trunken vor Aufmerksamkeit war als vor Wein.
»Lord Dondo hat mir versichert, ich sähe aus wie achtzehn!«, erzählte er Iselle triumphierend. Im letzten Sommer war er noch ein gutes Stück in die Höhe geschossen und überragte inzwischen seine ältere Schwester – für ihn ein Grund zur Freude, für Iselle ein Grund für das eine oder andere verächtliche Schnauben. Nun hielt er auf dem Weg zum Schlafgemach den Kopf so hoch erhoben, dass seine Füße kaum den Boden berührten.
Betriz hatte die Hände voller Schmuck, und gemeinsam mit Cazaril verstaute sie das Geschmeide in den verschließbaren Truhen von Iselles Vorzimmer. Bei dieser Gelegenheit fragte sie ihn: »Wie kommt es, dass Ihr nie Euren Vornamen verwendet, Lord Caz? Was ist an Lupe auszusetzen? Es ist ein Name, der eines richtigen Mannes würdig ist.«
»Eine frühkindliche Abneigung.« Cazaril seufzte. »Mein älterer Bruder und seine Freunde haben mich stets damit aufgezogen, indem sie heulten und win selten, bis ich vor Wut zu weinen anfing, was mich dann noch mehr verrückt machte! Den Göttern sei’s geklagt – als ich endlich groß genug war, um ihn zu schlagen, war er aus solchen Angewohnheiten herausgewachsen. Das fand ich äußerst ungerecht von ihm.«
Betriz musste lachen. »Ich verstehe!«
Cazaril wankte davon und zog sich in die Stille seines eigenen Schlafgemachs zurück. Dort fiel ihm ein, dass er ganz vergessen hatte, den hoch und heilig versprochenen beruhigenden Brief an die Herzogin aufzusetzen. Zwischen Bett und Pflicht hin und her gerissen, seufzte er schließlich und kramte seine Fe dern sowie Papier und Siegelwachs hervor. Doch seine Meldung fiel sehr viel kürzer aus als der unterhaltsame Bericht, den er zunächst im Sinn gehabt hatte: Einige knappe Zeilen mit dem Abschluss: … alles gut in Cardegoss.
Er versiegelte das Schreiben und trieb einen schläfrigen Pagen auf, der es dem ersten Kurier mit auf den Weg geben sollte, der am nächsten Morgen den Zangre verließ. Dann fiel er selbst ins Bett.
8
A
uf das Begrüßungsbankett des ersten Abends folgte allzu bald am nächsten Morgen das Frühstück, dann das Mittagessen und schließlich ein abendliches Fest, zu dem auch ein Maskenspiel gehörte. In den Tagen darauf reihte sich eine opulente Mahlzeit an die andere, bis Cazaril sich nicht mehr wundert, dass König Orico so sehr zugenommen hatte, sondern sich die Frage stellte, wie der Mann überhaupt noch laufen konnte. Der Strom der Geschenke, der den königlichen Geschwistern anfänglich zugeflossen war, wurde im Laufe der Zeit dünner. Cazaril holte mit der Buchführung auf und fand schließlich sogar wieder die Zeit, darüber nachzudenken, wo und bei welchen Gelegenheiten die eine oder andere dieser Großzügigkeiten weiterverschenkt werden sollte. Freigebigkeit war eine Tugend, die von einer Prinzessin erwartet wurde.
Am vierten Morgen erwachte er aus einem wirren Traum, in dem er durch den Zangre geirrt war, mit Händen voller Schmuck, den er nicht zur rechten Zeit den rechten Leuten hatte bringen können. In dem Traum kam auch eine große, sprechende Ratte vor, die ihm unmögliche Richtungsangaben machte. Er wischte sich den Schlaf aus den Augen und dachte ernsthaft darüber nach, entweder Oricos mit Weinbrand angereicherten Weinen abzuschwören oder in Zukunft auf Süßspeisen mit zu viel Marzipan zu verzichten. Er war sich nicht sicher, was von beiden den
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