Chalions Fluch
bemüht. Aber ich kann Euch versichern: Dy Sanda müsste schon sehr deutlich werden, um Teidez überhaupt noch zu erreichen, so sehr sind die Sinne des Jungen inzwischen von all den Schmeicheleien vernebelt.«
»Aber Ihr macht das für Iselle, immerzu«, widersprach Betriz. »Ihr sagt: Beobachtet diesen Mann dort, schaut, was er jetzt tut. Weshalb bewegt er sich so? Wenn Ihr zum siebten oder achten Mal Recht behaltet, müssen wir aufmerksam werden. Und beim zehnten oder zwölften Mal kommen wir dahinter. Kann dy Sanda für den Prinzen Teidez nicht das Gleiche tun?«
»Den Fleck im Gesicht eines anderen sieht man leichter als den im eigenen. Die Schar der Höflinge bedrängt Iselle nicht annähernd so sehr wie Teidez. Den Göttern sei Dank! Alle wissen, dass sie vom Hofe fortgekauft wird, vielleicht sogar fort aus Chalion. Sie ist keine Beute für diese Leute. Deren zukünftiger Lebensunterhalt liegt in Teidez’ Händen.«
Bei dieser nicht ganz überzeugenden und auch nicht befriedigenden Erklärung mussten sie es erst einmal belassen. Doch Cazaril war erfreut darüber, dass Betriz und Iselle allmählich auf die verborgenen Gefahren des höfischen Lebens aufmerksam wurden. Die andauernden Festlichkeiten waren verwirrend, verführerisch – ein solcher Hochgenuss für die Sinne, dass es den Verstand ebenso trunken und benommen machen konnte wie den Körper. Für einige der Höflinge und Damen hier, vermutete Cazaril, war es tatsächlich nicht mehr als das vergnügte, unschuldige – wenn auch teure – Spiel, nach dem es aussah. Für andere war es ein komplizierter Tanz von Zurschaustellung, verschlüsselten Botschaften, Angriffen und Gegenangriffen – so ernst wie ein Zweikampf, wenn auch nicht mit derselben unmittelbaren Lebensgefahr. Um auf den Beinen zu bleiben, musste man als Erstes die Spieler von den Spielfiguren unterscheiden. Dondo dy Jironal war schon von sich aus einer der führenden Spieler, und doch … selbst wenn nicht jeder seiner Schritte vom älteren Bruder gelenkt wurde, konnte man wohl doch mit Sicherheit sagen, dass Dondo dy Jironal nichts ohne Billigung seines Bruders unternahm. Nein. Es war nicht sicher, so etwas zu sagen. Es war allenfalls richtig, es zu denken.
Wie trübe auch immer er die Moral bei Hofe einschätzte, er musste einräumen, dass Orico ausgezeichnete Musikanten aufbieten konnte – so dachte sich Cazaril, als er während des Tanzes am nächsten Abend begierig dem Spiel lauschte. Wenn Königin Sara eine Stütze hatte, die der Menagerie König Oricos entsprach, waren es gewiss die Spielleute und Sänger des Zangres. Sara tanzte niemals und lächelte selten. Aber nie versäumte sie ein Fest, bei dem musiziert wurde. Dort saß sie dann neben ihrem aufgedunsenen, schläfrigen Gemahl, oder sie verweilte in Begleitung ihrer Damen hinter einem beschnitzten Paravent auf der Galerie gegenüber den Musikanten, wenn Orico frühzeitig zum Bett wankte.
Manchmal vermeinte Cazaril ihren Hunger nach diesem Trost zu verstehen, wenn er selbst an der Wand der Halle lehnte – an jener Stelle, die allmählich zu seinem gewohnten Aufenthaltsort wurde –, mit den Füßen den Takt mitklopfte und seinen Damen zusah, die über den polierten Dielenboden wirbelten.
Nach einem flotten Rundtanz hielten Musiker und Tänzer kurz inne, um Atem zu holen, und Cazaril fiel in den spärlichen Applaus ein, der von der Königin hinter ihrem Paravent gespendet wurde. Da hörte er unmittelbar neben sich eine unerwartete Stimme.
»Nun, Kastellan. Langsam schaut Ihr doch wieder so aus, wie ich Euch in Erinnerung habe!«
»Palli!« Cazaril unterdrückte das Verlangen, vorwärts zu stürmen, und verwandelte die Bewegung stattdessen in eine ausholende Verbeugung. Palli lachte und antwortete mit einer ebenso feierlichen Verneigung, ergriff danach allerdings kurz, aber fest Cazarils Hände. Er war sehr förmlich gewandet und trug die blauen Hosen und Untergewänder des Ritterordens der Tochter, mit dem weißen Wappenrock, polierten Stiefeln und einem glänzenden Schwert an der Hüfte.
»Was führt dich nach Cardegoss?«, fragte Cazaril eifrig.
»Die Gerechtigkeit, bei der Göttin! Und ein ziemlich schwieriger Fall von Gerechtigkeit, muss ich sagen, denn es wurde ein Jahr daran gearbeitet. Ich bin zur Unterstützung eines anderen Kapitelherrn hierher geritten, des Herzogs dy Yarrin, der in einer kleinen heiligen Mission unterwegs ist. Ich kann dir noch mehr erzählen, aber, äh …«, Palli schaute sich in der
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