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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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gegenüber dem Leoparden herauszunehmen. In weiser Zurückhaltung behielt Cazaril seine Hände bei sich.
    Während der König sich entschloss, noch eine Weile zu bleiben und sich mit dem Verwalter seiner Menagerie zu beraten, geleitete Cazaril seine Damen zurück in den Zangre. Die stritten unterdessen freundschaftlich darüber, was wohl das faszinierendste Geschöpf in der Menagerie gewesen war.
    »Was ist in Euren Augen das eigenartigste Wesen dort?«, fragte Betriz ihn schließlich herausfordernd.
    Cazaril nahm sich einen Augenblick Zeit, ehe er antwortete. Schließlich aber entschied er, bei der Wahrheit zu bleiben: »Umegat.«
    Sie öffnete schon den Mund, um seinem scheinbaren Scherz zu widersprechen; dann aber warf Iselle ihm einen scharfen Blick zu, und Betriz sagte nichts. Nachdenkliches Schweigen senkte sich herab, das während des ganzen Weges zu den Burgtoren anhielt.
     
    Der Herbst schritt allmählich voran, doch die zunehmend kürzeren Zeitspannen Tageslicht wurden von den Bewohnern des Zangres nicht als Mangel empfunden: Die länger werdenden Nächte erstrahlten auch weiterhin unter Kerzen, Gelagen und Festivitäten. Die Höflinge wechselten sich damit ab, einander bei der Ausrichtung von Unterhaltungen zu übertreffen, und wandten dafür großzügig Geld und Ein fallsreichtum auf. Teidez und Iselle waren geblendet, Iselle allerdings zum Glück nicht vollkommen. Angeleitet von Cazarils stetigen geflüsterten Kommentaren, hielt sie nach verborgenen Bedeutungen und Botschaften Ausschau, achtete auf Motivationen und wog Aufwand und Erwartungen gegeneinander ab.
    Teidez schluckte den Köder mitsamt Haken, soweit Cazaril es beurteilen konnte. Immer offener gerieten Teidez und dy Sanda aneinander, als dy Sanda vergebens versuchte, die Regeln aufrecht zu erhalten, die er im umsichtig geführten Haushalt der Herzogin durchgesetzt hatte. Selbst Iselle machte sich Sorgen über die zunehmenden Spannungen zwischen ihrem Bruder und dessen Erzieher – das jedenfalls schloss Cazaril, als Betriz ihn eines Morgens scheinbar zufällig in einer Fensternische abpasste, die den Zusammenfluss der beiden Ströme und das halbe Umland von Cardegoss überblickte.
    Nach einigen Bemerkungen zum Wetter, das der Jahreszeit entsprechend war, und zur Jagd, über die sich dasselbe sagen ließ, kam sie plötzlich auf das Thema zu sprechen, das sie eigentlich zu ihm geführt hatte. Sie senkte die Stimme und fragte: »Was war das denn für ein entsetzlicher Streit zwischen Teidez und dem bedauernswerten dy Sanda, letzte Nacht auf Eurem Flur? Wir konnten den Lärm durch die Fenster und den Boden hören!«
    »Ah …« Bei den Göttern, was sollte er jetzt sagen? Jungfrauen. Beinahe wünschte er, Iselle hätte Nan dy Vrit ausgesandt. Na gut, diese verständige Witwe war gewiss an sämtlichen Gesprächen beteiligt, die zwischen den Frauen im Obergeschoss so geführt wurden. Und es war in der Tat besser, unverblümt zu sprechen als ein Missverständnis zu riskieren. Und sehr viel besser, unverblümt gegenüber Betriz zu sein als gegen Iselle selbst. Betriz war kein Kind mehr, und vor allem nicht Teidez’ einzige Schwester – sie konnte gewiss besser als er selbst beurteilen, was man an Iselles Ohr weiterleiten konnte. »Dondo dy Jironal führte Teidez letzte Nacht eine Dirne für sein Bett zu. Dy Sanda warf sie wieder hinaus. Teidez war außer sich vor Wut.« Wütend, verlegen, vielleicht auch insgeheim erleichtert und, später am Abend, auch noch betrunken. Ah, das glanzvolle Leben bei Hofe …
    »Oh«, brachte Betriz heraus. Er hatte sie ein wenig schockiert, aber nicht zu sehr, wie er erleichtert feststellte. »Oh.« Eine Weile schwieg sie nachdenklich und schaute über die sanft ansteigende goldene Ebene hinweg, die sich hinter dem Fluss und dem breiter werdenden Tal anschloss. Die Ernte war fast zur Gänze eingebracht. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah dann zu Cazaril zurück, mit interessiert zusammengekniffenen Augen. »Es ist nicht … Es ist ganz gewiss nicht … Ist es nicht ein merkwürdiges Schauspiel, wenn ein vierzigjähriger Mann wie Lord Dondo am Rockzipfel eines vierzehnjährigen Knaben hängt?«
    »An einem Knaben hängen? Das wäre allerdings merkwürdig. Die Nähe eines Prinzen zu suchen, seines zukünftigen Königs, des zukünftigen Quells von Rang, Wohlstand, Vergünstigungen und militärischen Möglichkeiten – nun, das trifft es wohl eher! Ich kann Euch versichern, sobald Dondo diesen Zipfel losließe,

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