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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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urteilen, hatte sie aus der Nähe einen Blick auf das knotige Durcheinander auf Cazarils Rücken werfen können, als sie mit Iselle um ihn herumgegangen war. Auch Ser dy Sandas Lippen zuckten.
    »Kann ich mein Gewand wieder anlegen, Majestät?«, erkundigte Cazaril sich steif.
    »Ja, ja!« Hastig bedeutete Orico seine Zustimmung.
    »Die Art dieses Verbrechens, Hoheit«, sagte dy Jironal, »lässt überaus ernste Zweifel aufkommen, ob dieser Mann ein treuer Bediensteter Eures Haushalts sein sollte, oder des Haushalts irgendeiner Dame.«
    »Vergewaltigung?«, sagte Iselle verächtlich. »Cazaril? Das ist die absurdeste Verleumdung, die ich je gehört habe!«
    »Und doch«, entgegnete dy Jironal, »trägt er die Narben der Auspeitschung.«
    »Das Geschenk eines Rudermeisters der Roknari«, stieß Cazaril zwischen den Zähnen hervor. »Als Gegenleistung für eine unüberlegte Aufsässigkeit. Im vorangegangenen Herbst, vor der Küste von Ibra.«
    »Das klingt glaubwürdig – und doch seltsam«, sagte dy Jironal mit wohl überlegter Betonung. »Die Grausamkeit dieser Rudermeister ist legendär, aber ein fähiger Rudermeister würde einen Sklaven wohl kaum so zurichten, dass er unbrauchbar wird.«
    Cazaril brachte ein verzerrtes Lächeln zu Stande. »Ich habe den Mann gereizt.«
    »Wie das, Cazaril?«, wollte Orico wissen. Er lehnte sich zurück und knetete mit einer Hand die Fettpolster an seinem Kinn.
    »Ich habe meine Ruderkette um seinen Hals gewickelt und versucht, ihn zu erdrosseln. Beinahe hätte ich es auch geschafft. Aber sie haben mich ein wenig zu früh von ihm weggezerrt.«
    »Bei den Göttern!«, entfuhr es dem König. »Wolltet Ihr Euch umbringen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Damals dachte ich, über jeden Zorn hinaus zu sein, aber … Ich hatte einen neuen Gefährten auf der Ruderbank bekommen, einen Jungen aus Ibra, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Man habe ihn entführt, erzählte er, und ich glaubte ihm. Er war gewiss aus guter Familie, zart, wortgewandt und mit der rauen Umgebung nicht vertraut. Er bekam einen schrecklichen Sonnenbrand, und seine Hände bluteten vom Ruder. Er nannte sich Danni, aber er verriet mir nie seinen Familiennamen. Der Rudermeister versuchte, ihn zu missbrauchen – auf eine Weise, die den Roknari verboten ist –, und Danni schlug nach ihm. Ich konnte ihn nicht zurückhalten. Es war Wahnsinn, aber der Junge erkannte es gar nicht. Ich dachte, wenn ich den Rudermeister hart genug treffe, kann ich ihn ablenken und verhindern, dass er den Jungen bestraft.«
    »Indem er stattdessen Euch zur Rechenschaft zieht?«, warf Betriz verwundert ein.
    Cazaril zuckte die Achseln. Bevor er dem Rudermeister die Kette um den Hals wickelte, hatte er dem Mann das Knie hart genug zwischen die Beine gerammt, um ihm für eine Woche jedes Interesse an amourösen Abenteuern auszutreiben. »Es war eine sinnlose Geste … das heißt, sie wäre sinnlos gewesen, hätte nicht am nächsten Morgen eine ibranische Flotte unseren Kurs gekreuzt und uns alle gerettet.«
    »Dann habt Ihr Zeugen«, ermunterte ihn dy Sanda. »Eine ziemlich große Anzahl, wie es aussieht. Den Jungen, die Rudersklaven, die Seeleute aus Ibra … Was wurde eigentlich später aus dem Jungen?«
    »Das weiß ich nicht. Lange Zeit lag ich krank im Siechenhaus von der Mutter Gnade beim Tempel in Zagosur. Als ich … äh, schließlich abreiste, waren alle anderen bereits ihrer Wege gegangen.«
    »Eine überaus heldenhafte Geschichte.« Dy Jironals trockener Tonfall erinnerte jeden Zuhörer daran, dass dies nur Cazarils Sicht der Dinge gewesen war. Bedächtig legte er die Stirn in Falten und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Eine Zeit lang ruhte seine Aufmerksamkeit auf dy Sanda und der aufgebrachten Iselle. »Und doch … Ich nehme an, Ihr könnt die Prinzessin bitten, Euch einen Monat Urlaub zu gewähren, damit Ihr nach Ibra reiten und einige dieser … hm, günstigerweise verstreuten Zeugen ausfindig machen könnt. Falls Ihr es könnt.«
    Die Damen einen Monat ungeschützt zurücklassen – hier? Würde er die Reise überhaupt lebend überstehen? Oder wurde er erschlagen und in einem hastig aufgeworfenen Grab verscharrt, irgendwo in den Wäldern, zwei Stunden von Cardegoss entfernt, damit der Hof aus seiner scheinbaren Flucht auf seine Schuld schließen konnte? Betriz presste eine Hand auf ihre farblosen Lippen, doch ihr zorniger Blick galt ausschließlich dy Jironal. Es gab also zumindest eine, die Cazarils Worten glaubte und

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