Chalions Fluch
Jironal?«
Cazaril biss die Zähne zusammen. Sei still, dy Sanda!
»Die Roknari berichteten, er sei verstorben«, gab der Kanzler kurz zurück. »Als ich erfahren habe, dass er noch am Leben war, ging ich davon aus, dass sie uns belogen haben, um Rache zu nehmen. Aber wenn der Seidenhändler die Wahrheit sprach, haben sie womöglich aus Verlegenheit gelogen. Er muss ihnen irgendwie entkommen sein und trieb sich eine Weile in Ibra herum, bis zu seiner unglücklichen Verhaftung.« Er schaute auf Cazaril, dann wieder beiseite.
Du weißt genau, dass du lügst. Ich weiß es auch. Aber selbst jetzt konnte dy Jironal nicht mit Bestimmtheit wissen, dass Cazaril die Lüge durchschaute. Das schien diesem allerdings keinen besonderen Vorteil zu bringen. Es war ein ungünstiger Moment, eine Gegenklage zu erheben. Diese Verleumdung hatte jetzt schon seine Position geschwächt, wie die weitere Befragung durch Orico auch ausgehen mochte.
»Ich verstehe nicht, wie Ihr diesen Verlust ohne weitere Untersuchungen durchgehen lassen konntet«, beharrte dy Sanda. Er musterte dy Jironal eindringlich. »Er war Befehlshaber der Festung!«
Nachdenklich warf Iselle ein: »Wenn Ihr zunächst an Rache geglaubt habt, müsst Ihr der Ansicht gewesen sein, dass er den Roknari während des Kampfes schmerzhafte Verluste zugefügt hatte, um sie gegen sich aufzubringen.«
Dy Jironal verzog das Gesicht. Es missfiel ihm sichtlich, worauf die Argumentation hinauslief. Er lehnte sich zurück und wischte diese Abschweifungen beiseite. »Wir stecken in einer Sackgasse. Das Wort eines Mannes gegen das eines anderen, und keine Beweise, um eine Entscheidung zu treffen. Majestät, ich rate ernsthaft zur Vorsicht. Gebt Lord dy Cazaril ein weniger bedeutsames Amt, oder schickt ihn zurück zur Herzoginwitwe in Baocia.«
Iselles Stimme überschlug sich beinahe. »Und diese Verleumdung soll unangefochten durchgehen? Nein! Das lasse ich nicht zu.«
Orico rieb sich den Kopf, als hätte er Schmerzen, und bedachte seinen frostigen obersten Ratgeber sowie seine zornige Halbschwester mit raschen Seitenblicken. Dann ließ er ein leises Ächzen hören. »Bei den Göttern, ich verabscheue solche Situationen …« Unvermittelt änderte sich seine Miene, und seine Haltung straffte sich. »Aber natürlich! Ja, jetzt habe ich die Lösung … die gerechte Lösung!«
Er winkte dem Pagen, der Cazaril hergeführt hatte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dy Jironal schaute zu und runzelte die Stirn, konnte augenscheinlich aber ebenso wenig wie die anderen verstehen, was der König sagte. Der Page eilte davon.
»Was ist Eure Lösung, Majestät?«, fragte dy Jironal besorgt.
»Nicht meine Lösung. Die der Götter. Wir werden die Götter urteilen lassen, wer unschuldig ist und wer lügt.«
»Ihr habt doch wohl nicht vor, diese Sache durch einen Zweikampf austragen zu lassen?«, fragte dy Jironal mit einer Stimme, die echtes Entsetzen verriet.
Cazaril teilte dieses Entsetzen – und das galt wohl auch für Ser dy Maroc, dessen Gesicht plötzlich alle Farbe verlor.
Orico blinzelte. »Nun, das wäre eine weitere Möglichkeit.« Er schaute von dy Maroc zu Cazaril. »Sie sehen immerhin wie ebenbürtige Gegner aus. Dy Maroc ist jünger, gewiss, und er schlägt sich recht ordentlich auf unserem Übungsplatz. Aber Erfahrung macht ja auch etwas aus.«
Lady Betriz betrachtete dy Maroc und schaute plötzlich finster und besorgt drein – wie auch Cazaril, allerdings aus den umgekehrten Gründen. Dy Maroc war in der Tat ein guter Duellkämpfer. Aber auf einem Schlachtfeld würde er keine fünf Minuten bestehen, vermutete Cazaril. Zum ersten Mal während dieser Befragung schaute dy Jironal ihm direkt in die Augen, und Cazaril wusste, dass der Kanzler ähnliche Gedanken hatte. Cazaril drehte es den Magen um bei der Vorstellung, dass er gezwungen war, den jungen Höfling abzuschlachten – selbst wenn dieser ein Handlanger und Lügner war.
»Ich weiß nicht, ob der Ibraner gelogen hat oder die Wahrheit sprach«, wandte dy Maroc vorsichtig ein. »Ich weiß nur, was ich gehört habe.«
»Ja, ja«, wehrte Orico ab. »Ich nehme an, mein ursprünglicher Plan war der bessere.« Er schniefte und rieb sich die Nase mit dem Ärmel ab, dann wartete er weiter. Eine längere, beunruhigende Stille trat ein.
Sie endete abrupt, als der Page zurückkam und ankündigte: »Umegat, Majestät!«
Der gepflegte roknarische Tierpfleger trat ein. Ein wenig verwundert blickte er auf die Versammelten, trat
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