Chalions Fluch
er sie … nun gut, wie Ihr festgestellt habt, wissen wir nicht mit Bestimmtheit, was er ihr sonst noch raubt. Aber für das erste Vergehen hatten wir genug Beweise, die Göttin sei Zeugin! Zumindest mag ihn dies lehren, bei seinen Raubzügen meinem Haushalt fernzubleiben. Der Zangre ist der Hof des Königs, kein Hühnerhof!«
»Kopf hoch, Cazaril«, riet ihm dy Sanda. »Immerhin kann Dondo sich für seine gekränkte Eitelkeit kaum am Prinzen oder an der Prinzessin rächen.« Er blickte sich um. Teidez schlenderte über den Gang, um all die verstreuten Bänder aufzusammeln, die das Schwein während des Fluchtversuchs verloren hatte. Mit gesenkter Stimme fügte dy Sanda an: »Und es war den ganzen Ärger wert, damit Teidez seinen … Helden auch mal in weniger schmeichelhaftem Licht sehen konnte. Als der liebeshungrige Lord Dondo aus Lady Betriz’ Schlafkammer stolperte, mit dem Gürtel seiner Hose in den Händen, fand er all unsere Zeugen hier aufgereiht und wartend vor. Und Fräulein Schwein hätte ihn beinahe von den Füßen geholt, als es zwischen seinen Beinen hindurch flüchtete. Dondo sah wie ein Volltrottel aus! Das war die beste Unterrichtsstunde, die ich in dem Monat, den wir nun schon hier sind, zu Stande gebracht habe. Was meint Ihr? Vielleicht können wir auf diese Weise ein wenig Boden gutmachen?«
»Ich bete, dass Ihr Recht habt«, gab Cazaril vorsichtig zurück, denn der Prinz und die Prinzessin waren die einzigen Personen, die vor Dondos Rache geschützt waren.
Wie auch immer, in den folgenden Tagen gab es keine Anzeichen für einen Vergeltungsschlag. Lord Dondo ertrug die Neckereien von dy Rinal und seinen Freunden mit einem gequälten Lächeln, aber immerhin mit einem Lächeln. Bei jeder Mahlzeit setzte Cazaril sich hin und erwartete zumindest, das ein gewisses Schwein gegrillt an der Tafel der Prinzessin aufgetragen würde, mit Bändern um den Hals, aber dieses Mahl fand niemals statt. Betriz hatte sich zunächst von Cazarils Bedenken anstecken lassen, doch allmählich beruhigte sie sich wieder. Cazaril jedoch nicht. Trotz seines unbeherrschten Wesens hatte Dondo ihm bereits zur Genüge gezeigt, wie lange er auf eine günstige Gelegenheit warten konnte, ohne eine Kränkung zu vergessen.
Zu Cazarils Erleichterung wurde das Gegrunze in den Gängen der Burg leiser, ehe noch vierzehn Tage vergangen waren; es wurde verdrängt von neuen Festlichkeiten, neuen Streichen und neuem Klatsch. Schon wagte Cazaril zu hoffen, dass Lord Dondo die öffentlich verabreichte Medizin schlucken würde, ohne sie jemandem ins Gesicht zu spucken. Dondos älterer Bruder dachte in größeren Dimensionen und hatte nicht nur die kleine Gemeinschaft innerhalb der Mauern des Zangres im Blick – womöglich hatte er es auf sich genommen, jegliche unangemessene Reaktion des Jüngeren zu unterbinden. Und es gab ge nug Neuigkeiten aus der Außenwelt, um die Aufmerksamkeit erwachsener Männer in Anspruch zu nehmen: Der Bürgerkrieg in Süd-Ibra nahm an Heftigkeit zu; Gleiches galt für das Räuberunwesen in den Herzogtümern, und unzeitig früh machte schlech tes Wetter die höheren Bergpässe unpassierbar.
Angesichts dieser Neuigkeit widmete Cazaril sich den Planungen für die Verlegung des Haushalts der Prinzessin, für den Fall, dass der Hof den Zangre frühzeitig verließ und noch vor dem Tag des Vaters in die traditionellen Winterquartiere umzog. Er saß eben in seiner Schreibstube und zählte Pferde und Maultiere zusammen, als einer von Oricos Pagen an der Tür zum Vorzimmer erschien.
»Lord dy Cazaril, der König wünscht, dass Ihr ihm in Ias’ Turm Eure Aufwartung macht.«
Cazaril hob die Brauen, legte seine Schreibfeder beiseite und folgte dem Jungen. Er fragte sich, in welcher Angelegenheit der König seiner Dienste bedurfte. Oricos Launen konnten bisweilen exzentrische Züge annehmen. Zweimal hatte er Cazaril aufgefordert, ihn bei Besuchen in seiner Menagerie zu begleiten und dort Aufgaben zu erfüllen, die auch für einen Pagen oder Tierpfleger einfach genug gewesen wären: die Ketten eines Tieres zu halten, Bürsten zu holen oder Futter zu verteilen. Zugegeben – der König hatte auch Suggestivfragen gestellt, die das Treiben seiner Schwester Iselle betraf, jedoch auf offensichtlich lustlose Weise. Cazaril hatte die Gelegenheit genutzt und von Iselles Furcht berichtet, auf den Archipel der Roknari verheiratet zu werden, oder mit irgendeinem anderen Fürsten der Roknari. Cazaril hatte darauf gehofft, dass der
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