Chalions Fluch
Pagen hinter sich, als er die Treppe hinunter eilte. Er stürmte gerade rechtzeitig in den vorderen Hof des Zangres, um einen Mann zu sehen, der den Wappenrock des Gerichtsvogts von Cardegoss trug und gemeinsam mit einem weiteren, bäuerlich gekleideten Helfer einen steifen Packen vom Rücken eines Maultieres lud und auf den Pflastersteinen ablegte. Der Majordomus des Zangres runzelte die Stirn und kniete neben dem Körper nieder. Einige königliche Wachen beobachteten die Vorgänge aus mehreren Schritten Abstand – vorsichtig und voller Argwohn, als könnten Stichwunden sich als ansteckend erweisen.
»Was ist geschehen?«, wollte Cazaril wissen.
Der Bauer, der seine besten Gewänder trug, lüftete seine wollene Kopfbedeckung zu einer Art Gruß. »Ich fand ihn heute Morgen am Flussufer, Herr, als ich mein Vieh zur Tränke führte. Der Fluss macht dort eine Biegung – ich finde häufig Dinge, die dort an den seichten Stellen angeschwemmt werden. Letzte Woche war’s ein Wagenrad. Ich schaue immer nach. Leichen gibt’s nicht so oft, der Gnade der Mutter sei Dank. Nicht mehr seit der armen Frau, die sich vor zwei Jahren ertränkt hat …« Er tauschte ein Nicken mit dem Helfer des Gerichtsvogts, der sich offenbar ebenfalls an diesen Vorfall erinnerte. »Der hier sah nicht aus wie ertrunken.«
Dy Sandas Hosen waren immer noch durchnässt, aber sein Haar tropfte nicht mehr. Seine Entdecker hatten ihm die Tunika ausgezogen – Cazaril sah den Brokat gefaltet über dem Widerrist des Maultiers liegen. Das Flusswasser hatte alles Blut aus den Wunden gewaschen, die sich nun als dunkle, ein wenig aufklaffende Schlitze auf der blassen Haut abzeichneten – in seinem Rücken, seinem Bauch und seinem Hals. Cazaril zählte mehr als ein Dutzend Stiche, tief und entschlossen geführt.
Der Majordomus balancierte auf den Fersen und zeigte auf einen ausgefransten Rest Schnur, der um dy Sandas Gürtel geknotet war. »Sein Beutel wurde abgeschnitten. Sie hatten es ziemlich eilig.«
»Aber es war nicht nur ein Raubüberfall«, widersprach Cazaril. »Ein oder zwei dieser Stiche hätten ihn zu Boden geschickt und jeden weiteren Widerstand unterbunden. Sie hätten nicht … Sie wollten sicher gehen, dass er auch tot ist!« Sie oder er? Es gab keine Möglichkeit mehr, das festzustellen. Aber es war gewiss nicht einfach gewesen, dy Sanda zu überwältigen, und nicht ohne Risiken. Wahrscheinlich sie. »Ich nehme an, auch sein Schwert wurde mitgenommen.« Hatte er die Zeit gehabt, die Waffe zu ziehen? Oder war der Angriff überraschend gekommen, von einem Mann, den er vertrauensvoll begleitet hatte?
»Mitgenommen, oder im Fluss verloren«, sagte der Bauer. »Er wäre nicht so rasch bei mir angetrieben worden, hätte das Gewicht der Klinge ihn weiter nach unten gezogen.«
»Trug er Ringe oder Schmuck?«, fragte der Gerichtshelfer.
Der Majordomus nickte. »Einige, und einen goldenen Ohrreif.« Es war alles verschwunden.
»Ich benötige eine Beschreibung aller dieser Gegenstände, Herr«, sagte der Gerichtshelfer, und der Majordomus bestätigte das mit einem Nicken.
»Ihr wisst, wo er gefunden wurde«, bemerkte Cazaril. »Wisst Ihr auch, wo der Überfall stattfand?«
Der Helfer des Gerichtsvogts schüttelte den Kopf. »Schwer zu sagen. Irgendwo in der Schwemme, vielleicht.« Dieses Stadtviertel war das untere Ende von Cardegoss, in sozialer wie in topographischer Hinsicht, eine dichtgedrängte Siedlung auf beiden Seiten der Mauer, die zwischen den Flüssen entlanglief. »Es gibt dort nur etwa ein halbes Dutzend Stellen, wo man einen Körper über die Stadtmauern werfen und sicher sein kann, dass die Strömung ihn davonträgt. Manche dieser Stellen sind einsamer als andere. Wann wurde er hier zuletzt gesehen?«
»Ich sah ihn beim Abendessen«, sagte Cazaril. »Mir gegenüber machte er keine Andeutung, dass er noch in die Stadt hinuntergehen wollte.« Es gab einige Stellen hier im Zangre, wo man ebenfalls einen Körper in den Fluss werfen konnte … »Waren seine Knochen gebrochen?«
»Soweit ich ertasten konnte, nein«, meinte der Gerichtshelfer. Tatsächlich zeigte der bleiche Leichnam keine größeren Abschürfungen.
Eine Befragung der Burgwachen ergab, dass dy Sanda den Zangre in der Nacht zuvor während der mittleren Wache verlassen hatte, allein und zu Fuß. Cazaril verwarf den aufkeimenden Gedanken, jeden Fußbreit der endlosen Gänge der Burg und sämtliche Nischen nach frischeren Blutflecken abzusuchen. Später am Nachmittag
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