Chalions Fluch
auf.
Cazaril erwiderte das Lächeln nicht. »Umegat«, begann er übergangslos, »ich muss dich etwas fragen: Hast du die Krähe ausgewählt, oder hat die Krähe dich ausgewählt?«
»Spielt das eine Rolle für Euch, Herr?«
»Ja!«
»Warum?«
Cazaril öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Endlich versuchte er es ein weiteres Mal, beinahe bittend. »Es war eine Täuschung, nicht wahr? Du hast sie alle an der Nase herumgeführt, indem du die Krähe hergebracht hast, die ich an meinem Fenster gefüttert habe. Es war nicht wirklich die Kraft der Götter in diesem Saal am Werke, habe ich Recht?«
Umegat hob die Brauen. »Der Bastard ist der spitzfindigste aller Götter, Herr. Selbst wenn ein Trick im Spiel ist, bietet es keine Gewissheit, dass Ihr nicht doch von den Göttern berührt wurdet.« Entschuldigend fügte er hinzu: »Ich fürchte, so ist es nun einmal.« Er zwitscherte dem hellen Vogel zu, der offenbar sein Umherflattern in der Asche beendet hatte. Mit einem Korn aus der Tasche seines Kittels lockte er das Tier auf seine Hand und steckte es zurück in seinen Käfig in der Nähe.
Cazaril folgte dem Tierpfleger und fuhr fort: »Es war die Krähe, die ich gefüttert hatte. Natürlich ist sie zu mir geflogen. Du hast sie auch vorher gefüttert, nicht wahr?«
»Ich füttere sämtliche heiligen Krähen, die in Fonsas Turm leben. Dasselbe tun die Pagen und die Damen, die Gäste des Zangres und auch die Akolythen und Geistlichen sämtlicher Tempelanlagen in der Stadt. Das Wunder dieser Krähen ist, dass sie noch immer nicht zu fett zum Fliegen sind.« Mit einem eleganten Dreh seines Handgelenks erwischte Umegat einen weiteren Vogel und tauchte ihn in das Aschenbad.
Als die Asche nach allen Seiten wölkte, ging Cazaril ein wenig auf Abstand und blickte finster. »Du bist ein Roknari. Gehörst du dem vierfältigen Glauben an?«
»Nein, Herr«, entgegnete Umegat gelassen. »Ich bin seit meiner Jugend überzeugter Quintarier.«
»Bist du übergetreten, als du nach Chalion kamst?«
»Nein, noch auf den Inseln von Roknar.«
»Wie … kommt es dann, dass du für deinen Irrglauben nicht aufgehängt wurdest?«
»Ich erreichte ein Schiff nach Brajar, ehe sie mich gefangen nehmen konnten.« Umegats Lächeln wurde verkrampfter.
Tatsächlich, er hatte immer noch seine Daumen. Cazaril kniff die Brauen zusammen, während er die fein geschnittenen Gesichtszüge des Mannes musterte. »Was war dein Vater auf den Inseln?«
»Engstirnig, aber sehr fromm, wenn auch auf seine vierschrötige Weise.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich weiß, Herr. Doch er ist seit zwanzig Jahren tot. Es spielt keine Rolle mehr. Ich bin zufrieden mit dem, was ich jetzt bin.«
Cazaril kratzte sich am Bart, während Umegat einen weiteren farbenfrohen Vogel brachte. »Wie lange bist du denn dann schon Verwalter dieser Menagerie?«
»Seit es sie gibt. Seit ungefähr sechs Jahren. Ich kam gemeinsam mit dem Leoparden hier an, und mit den ersten Vögeln. Wir waren ein Geschenk.«
»Von wem?«
»Vom Erzprälaten von Cardegoss, und von der Kirche des Bastards. Anlässlich des Königs Geburtstag, wisst Ihr. Seither sind viele wundervolle Tiere hinzugekommen.«
Cazaril brauchte eine Weile, um das zu verdauen. »Eine außergewöhnliche Kollektion.«
»In der Tat, Herr.«
»Sehr ungewöhnlich?«
»Überaus ungewöhnlich.«
»Kannst du mir das näher erläutern?«
»Ich möchte Euch bitten, nicht weiter danach zu fragen, Herr.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich Euch nicht anlügen möchte.«
»Warum nicht?« Macht doch sonst jeder.
Umegat atmete tief ein und zeigte ein schiefes Grinsen, während er Cazaril anblickte. »Weil die Krähe mich ausgewählt hat, Lord Cazaril.«
Cazaril erwiderte das Lächeln ein wenig verzerrt, verbeugte sich leicht vor Umegat und zog sich zurück.
11
A
ls Cazaril sich am dritten Morgen nach diesen Vorfällen auf den Weg zum Frühstück machte, hielt ein atemloser Page ihn am Ärmel fest, als er sein Schlafzimmer verließ, und sprach ihn an:
»Lord dy Cazaril! Der Majordomus bittet Euch zu sich, sofort, im Schlosshof!«
»Warum? Was ist?« Cazaril ließ sich von der Eile des Jungen anstecken und lief neben ihm her.
»Es geht um Ser dy Sanda. Er wurde letzte Nacht von Straßenräubern überfallen, ausgeraubt und niedergestochen.«
Cazaril ging schneller. »Wie schlimm ist er verletzt? Wo liegt er?«
»Er ist nicht verletzt, Herr. Er wurde ermordet!«
Bei den Göttern! Cazaril ließ den
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