Chamäleon-Zauber
ihr zu.
Durch das Haupttor konnten sie nicht hinaus, weil das Fallgitter noch immer heruntergelassen war und sie nicht wußten, wie man seinen Mechanismus betätigen mußte. Also schritten sie die Räume im Erdgeschoß ab, um einen anderen Ausgang zu finden.
Bink öffnete eine vielversprechend aussehende Tür – und warf sie sofort wieder zu, als er eine Horde ledriger, geflügelter Wesen mit langen Zähnen erblickte, die sofort auf ihn zuflogen. Sie sahen aus wie Vampirfledermäuse. Die nächste Tür öffnete er sehr vorsichtig – da schlängelte sich ein Tau auf sie zu, das nicht nur oberflächlich dem Fangarm eines Lianenbaumes glich.
»Vielleicht im Keller«, schlug Chamäleon vor und spähte die Treppe hinunter.
Sie versuchten es mit der Treppe, doch als sie unten ankamen, erblickten sie riesige, drohende Ratten, die sich ihnen entgegenstellten, anstatt zu fliehen. Die Biester sahen viel zu hungrig und zuversichtlich aus; sehr wahrscheinlich besaßen sie eine Magie, mit der sie jedes Opfer einzufangen wußten, das sich in ihr Revier wagte.
Bink stocherte versuchsweise mit seinem Stock nach der nächsten Ratte und rief: »Husch!« Doch die sprang auf den Stock und kletterte auf Binks Hand zu. Er schüttelte den Stock, aber das Wesen klammerte sich fest. Er stieß den Stock hart auf dem steinernen Fußboden auf, doch noch immer hielt sich die Ratte fest und kletterte höher. Das war wohl ihr magisches Talent – die Fähigkeit, sich festzukrallen.
»Bink, paß auf! Da oben!« rief Chamäleon.
Über ihnen hörten sie ein hektisches Scharren. Auf dem Deckenbalken drängten sich nun noch mehr Ratten und duckten sich zum Sprung.
Bink warf den Stock fort und lief eilig die Treppe wieder hoch, wobei er sich bei Chamäleon aufstützte, bis er sich umdrehen konnte. Die Ratten folgten ihnen nicht.
»Dieses Schloß ist wirklich gut organisiert«, sagte Bink schließlich, als sie wieder ins Erdgeschoß hinaustraten. »Ich glaube nicht, daß es uns in Frieden wird ziehen lassen. Aber wir müssen es versuchen. Vielleicht durch ein Fenster.«
Doch im Erdgeschoß gab es keine Fenster. Man hatte die Außenmauer so gebaut, daß sie belagerungssicher war. Und von einer Zinne zu springen war zwecklos, dabei würden sie sich mit Sicherheit irgend etwas brechen. Also gingen sie weiter und kamen in den Küchentrakt. Hier gab es einen Hinterausgang, der wohl gewöhnlich von Lieferanten und Dienstboten benutzt worden war.
Sie schlüpften hinaus und standen vor einer kleinen Brücke die über den Graben führte: das war ein geradezu idealer Fluchtweg.
Doch schon unterwegs bewegte sich etwas auf der Brücke. Aus den verfaulten Bohlen krochen Schlangen hervor. Es waren keine gewöhnlichen, gesunden Reptilien, sondern heruntergekommene, blasse Wesen, deren Knochen aus schlierigen Fleischwunden herausragten.
»Das sind ja Zombieschlangen!« rief Chamäleon entsetzt. »Von den Toten auferstanden!«
»Das ergibt Sinn«, sagte Bink grimmig. »Dieses ganze Schloß ist schließlich von den Toten auferstanden. Ratten können überall überleben, aber die anderen Wesen sind mit dem Schloß gestorben. Vielleicht kommen sie ja auch heute noch hierher, um zu sterben. Aber Zombies sind nicht annähernd so stark wie lebende Wesen. Wahrscheinlich können wir sie mit unseren Stöcken abwehren.« Aber er hatte seinen eigenen Stock ja im Keller verloren.
Nun nahm er den Verwesungsgestank wahr, der die Ausdünstungen der Harpyie noch übertrumpfte, und sein Magen drohte, sich umzudrehen. Bisher war er noch nie mit fortgeschrittener Verwesung konfrontiert gewesen: Entweder lebten die Wesen, denen er begegnet war, noch, oder ihre Knochen waren säuberlich abgenagt worden. Die Zwischenstufen, das Verfaulen und das Wühlen der Maden, waren Bestandteile des Kreislaufs von Leben und Tod, mit denen er sich lieber nicht beschäftigt hatte. Bisher.
»Mit dieser Brücke will ich es lieber nicht probieren«, meinte Chamäleon. »Wir würden doch nur durchbrechen. Und im Wasser lauern die Zombiekrokodile.«
Tatsächlich. Dort peitschten große Reptilien mit ledriger Haut über den Knochen die schleimige Oberfläche und starrten sie mit wurmzerfressenen Augen an.
»Vielleicht mit einem Boot«, schlug Bink vor. »Oder einem Floß…«
»Nein, nein! Selbst wenn es nicht morsch und verfault und von Zombiewürmern zerfressen sein sollte – na ja, schau doch mal dort, auf der anderen Seite!«
Am anderen Ufer erblickte er das Allerschlimmste: menschliche
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