Chamäleon-Zauber
hervorschauten. Es war wirklich schwierig, sich zu beherrschen, denn sie hatte auch noch vieles von Dee an sich, das, was er an ihr gemocht hatte, bevor er begriffen hatte, was mit ihr los war. Er hätte sie jetzt ergreifen und mit ihr Liebe machen können, und sie hätte es ihm weder in ihrer dummen noch in ihrer klugen Phase übelgenommen.
Aber er war kein Gelegenheitsliebhaber, und zu dieser Zeit und in dieser Situation mochte er sich nicht derart festlegen. Er schob sie sanft beiseite, was ihn mehr Selbstüberwindung kostete, als er sich anmerken ließ. »Was ist passiert?« fragte er erneut.
»Es… es hat geknallt«, stammelte sie.
Er mußte sich selbst daran erinnern, daß ihre nachlassende Intelligenz ein weiterer Teil des Fluchs war. Jetzt war es schon leichter, ihrem üppigen Körper zu widerstehen. Ein Körper ohne
Geist reizte ihn nicht.
»Was hat geknallt?«
»Die Kirsche.«
»Die Kirsche?« Es war das erste, was er über die neue Frucht
gehört hatte.
Doch nach langem, geduldigen Fragen erfuhr er endlich die ganze Geschichte.
»Das sind Kirschbomben!« rief er. »Wenn du eine davon gegessen hättest…«
Sie war noch nicht so dumm, das nicht zu begreifen. »Oh, mein Mund!«
»Oh, dein Kopf! Diese Dinger sind ziemlich stark. Hat Milly dich denn nicht davor gewarnt?« Milly war das Zimmermädchengespenst.
»Sie war beschäftigt.«
Womit konnte ein Gespenst sich wohl beschäftigen? Na ja, das war jetzt nicht die Zeit, darüber nachzudenken. »In Zukunft solltest du nichts essen, bevor ein Geist dir sagt, daß es harmlos ist.«
Chamäleon nickte gehorsam.
Bink hob eine der Kirschen auf und musterte sie. Es war ein einfacher kleiner roter Ball, der nur an einer Stelle eine Einbuchtung hatte, wo der Stengel abgebrochen war. »Der alte Magier Roogna hat diese Bomben wahrscheinlich im Krieg eingesetzt. Er hatte zwar etwas gegen Krieg, soweit ich weiß, aber die Verteidigung hat er trotzdem niemals vernachlässigt. Junge, Junge! Wenn sich ein Mann mit einer Schleuder auf den Zinnen postiert, dann könnte er mit den Dingern eine ganze Armee zusammenbomben. Wer weiß, was es noch für Bäume in dieser Waffensammlung gibt. Wenn du nicht damit aufhörst, mit seltsamen Früchten herumzuexperimentieren…«
»Ich könnte das Schloß in die Luft jagen«, sagte sie und blickte den sich verteilenden Rauchschwaden nach. Der Boden war versengt, und einem der Tische fehlte ein Bein.
»Das Schloß in die Luft jagen…« wiederholte Bink, dem plötzlich ein Gedanke kam. »Chamäleon, warum holst du nicht noch ein paar Kirschbomben? Ich würde gerne mal mit ihnen experimentieren. Aber sei sehr vorsichtig. Du darfst nirgendwo anstoßen und auch keine fallen lassen.«
»Klar«, sagte sie mit dem gleichen Eifer, wie er ihn schon von den Gespenstern her kannte. »Ganz vorsichtig.«
»Und iß keine davon!« Das war mehr als nur ein Witz.
Bink suchte Stoff und Bindfaden zusammen und machte daraus verschieden große Beutel. Bald besaß er Beutelbomben unterschiedlicher Sprengkraft, die er an strategischen Punkten im Schloß verteilte. Einen Beutel behielt er selbst.
»Ich glaube, jetzt können wir Schloß Roogna verlassen«, sagte er. »Aber erst muß ich mit Trent reden. Du stellst dich hier an die Küchentür. Wenn du irgendwelche Zombies sehen solltest, dann bewirf sie mit Kirschen.« Er war überzeugt davon, daß kein Zombie genügend Koordinationsfähigkeit besaß, die Bomben aufzufangen und zurückzuwerfen. Verfaulendes Fleisch und wurmstichige Augen verliehen nun einmal keine sichere Zielhand. Folglich waren sie auch verwundbar. »Und wenn du Trent und nicht mich siehst, wie er hier herunterkommt, dann wirf eine Kirsche in diesen Haufen. Und zwar schnell, bevor er bis auf sechs Fuß an dich herangekommen ist.« Er zeigte auf eine große Bombe, die er an einer Stützsäule befestigt hatte. »Hast du verstanden?«
Das hatte sie nicht, aber er schärfte ihr alles so lange ein, bis sie es begriffen hatte. Sie sollte Kirschen auf alles werfen, was sich bewegte – außer auf Bink selbst.
Jetzt war er bereit.
Mit klopfendem Herzen machte er sich auf den Weg in die Bibliothek, um mit dem Bösen Magier zu reden.
Ein Gespenst versperrte ihm den Weg. Es war Milly, die Kammerzofe, die ihr weißes Laken so gerichtet hatte, daß es einem Zimmermädchenkleid ähnelte. Ihre schwarzen Augenlöcher wirkten irgendwie beinahe menschlich. In der jahrhundertelangen Isolation waren die Gespenster ziemlich verwahrlost, doch
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