Champagner-Fonds
Probieren gezwungen sah, folgte eine Woche Abstinenz. Philipp wusste um die Gefahr der Droge Alkohol, die sich heimlich ihren Weg ins Leben suchte, sich ihre Gewohnheiten schuf und Abhängigkeiten aufbaute.
Er nahm den Kopf wieder hoch und rasierte sich fertig, nahm ein Aftershave, was er selten tat (vielleicht gefiel es Helena Schilling?), zog den leichten blauen Sommeranzug an, verzichtete auf die Krawatte, frühstückte mit Thomas und dessen Freundin Susanne, die noch am späten Abend gekommen war, und schwang sich aufs Rad. Zügig und ohne Umweg durch weniger befahrene Straßen fuhr er nach Marsdorf, als säße ihm ein Gewitter im Nacken. Dabei war der Morgen klar und kühl. Er wollte schnell in die Firma, dort waren die Lösungen für die Fragen zu finden, die sich stellten. Wie alles zusammenhing, ließ sich jetzt nicht überblicken. Dass alle Fragen miteinander verbunden sind, dass sich mit der Beantwortung einer Frage auch die Antworten auf andere finden lassen, ist so gut wie sicher, dachte er, als er mit Schwung in den Hof einbog und das Fahrrad in den auf seinen Wunsch hin angeschafften Fahrradständer stellte.
Er hob den Kopf und sah zu Langers Büro hin. Der stand am offenen Fenster, telefonierte und blickte ihn an, ausdruckslos und ohne das geringste Zeichen des Erkennens.
»Es soll kein geschlossener Fonds sein«, sagte Langer, »er wird erweitert, wann immer die Manager es für nötig halten und wie es die Marktpreise gebieten. Es wird gekauft undverkauft, und aus den Verkäufen bekommen die Anleger ihre Rendite und die anteilige Wertsteigerung ihrer Anlage zurück. Über die Verkäufe, die bis dahin vorgenommen werden, lassen sich die Zinszahlungen finanzieren, und die sind davon abhängig, wie gut der Champagner verkauft wird. In Großbritannien wird das alles längst praktiziert. Die Zinsen sind nicht exorbitant hoch, dafür sicher, es sind etwa acht bis zehn Prozent jährlich.«
»Das ist eine extrem gute Verzinsung«, staunte Philipp. »Es kommt natürlich darauf an, wie hoch das Agio ist, die Kosten für die Ausgabe.«
Langer ging nicht darauf ein. »Ich habe Ihnen hier ein Booklet mitgebracht, das Sie unbedingt durchlesen müssen.« Er reichte Philipp eine Hochglanzbroschüre. »Die Besten der Champagne« lautete die Überschrift auf der Titelseite. Es war nicht der Prospekt mit allen technischen Angaben des Fonds, wie ihn der Gesetzgeber forderte. Es war eine Werbebroschüre für Champagner, um Eindruck zu schinden.
Im Vordergrund stand ein Sektkübel mit einer bereits geöffneten Flasche, daneben ein Glas. Im Hintergrund, etwas unscharf, tummelte sich eine illustre Gesellschaft in Abendrobe, die Gesten der meist jungen Frauen so exaltiert wie ihre Dekolletés, die Männer mit grauen Schläfen, erfolgreich und selbstverständlich im Smoking. Es herrschten die Farben Grün, Gold und Silber vor, und auch das Papier fühlte sich äußerst hochwertig an. Philipp hatte beobachtet, wie der Lagerleiter den Karton mit den Broschüren aus Langers Wagen geholt hatte.
Jetzt stand er auf dem Konferenztisch. Philipp ging hin und betrachtete das Etikett der Druckerei an der Seite. Schwenke und Cie., Köln, las er.
»Seit wann arbeiten wir mit denen? Schwenke war bei der Kalkulation unserer Kataloge immer zu teuer.«
»Ich habe die Booklets nicht drucken lassen, ich verteile sie lediglich.« Das hörte sich an wie eine Verteidigung.
»Sie verteilen Broschüren?« Philipp war fassungslos. Es befanden sich mindestens fünfzig davon in dem Karton. »Verteilen Sie die unter denen da?« Er hielt Langer eine aufgeschlagene Broschüre entgegen. Eine üppige Blondine lachte ihn an, eher ordinär als verführerisch. »Sind das die Käufer unserer Champagner oder die Käufer des Fonds?«, fragte Philipp, der mehr ein Freund von klaren Informationen war als von Anmutungen, Vorstellungen und Einbildung.
»Höre ich da noch immer Ihre Skepsis heraus?« Langer schüttelte den Kopf. »Achenbach. Sonst sind Sie nicht so begriffsstutzig. Neue Zeiten erfordern eben neue Maßnahmen, das gilt auch für uns. Beide sind gemeint, beide Käufergruppen. Auch Sie können Ihr Geld da anlegen, und je besser Sie zukünftig einkaufen und verkaufen, desto besser verdienen wir, Sie und ich ... Aber das hier ist die Broschüre, in der es um die Champagnerhäuser geht, die von unserem Fonds repräsentiert werden.«
»Von unserem?« Bei Philipp läutete eine Alarmglocke.
»Herrgott – Ihre Spitzfindigkeit hilft uns
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