Champagner-Fonds
Hektar verkauft, die er von seinem Vater geerbt hatte, wäre er ein reicher Mann. 1,2 Millionen Euro bot man gegenwärtig für den Hektar, und Käufer warteten an jeder Ecke. Aber niemand wollte verkaufen. Die Trauben, wenn man sie nicht selbst verarbeitete, brachten sechs Euro pro Kilo. Bei 14.000 Kilogramm je Hektar, bislang als Höchstmenge erlaubt, kamen 84.000 Euro zusammen. Jetzt waren nur noch 8.000 Kilo erlaubt, das ergab immerhin noch 48.000 Euro pro Hektar. Zog man die Produktionskosten ab ... Nein, die Champagne gehörte nicht zu den ärmsten Regionen Frankreichs.
Als Yves gegen Abend eintraf, nahm er Philipp gleich mit in den Keller. Es war ein Wunder, dass er ihm Zeit ließ, seine Daunenjacke überzuziehen. Die Kellerbesichtigungen, egal zu welchem Winzer er kam, waren der leidigste und kälteste Teil seiner Arbeit. Das spärlich beleuchtete Gemäuer stammte aus dem 16. Jahrhundert. Ein Teil der Gänge war verschüttet, und die Familie hatte es nicht für nötig erachtet, sie freizulegen. Außerdem wusste niemand, wie die Gänge verliefen, Pläne gab es längst nicht mehr. Irgendwelche Geheimnisse verbargen sich hinter dem Schutt kaum, Schätze an uralten Champagnern, beim Einmarsch der Deutschen Wehrmacht vergraben, genauso wenig. Aber Besucher führte Yves immer gern bis zu dieser Stelle.
»Sie lieben den Gedanken, dass es dahinter weiter in die Tiefe und in die Geschichte geht. Besonders die Amerikaner sind wild auf Gruselgeschichten aus dem Mittelalter.« Yves machte sich einen Spaß daraus, sie zu erfinden. »Beim Rundgang lasse ich so viel offen, dass die Fantasie genügend Futter bekommt.«
Knapp 30.000 Flaschen füllte er jährlich ab. Damit konnte er die Familie nicht ernähren, aber es war ein gutes Zubrot. Zum Leidwesen seiner Frau hatte er die Angewohnheit, seine Freunde großzügig zu beschenken, und er griff auch jetzt zwei Flaschen. »Das müsste für heute Abend reichen. Sonst schicke ich dich wieder hierher, du behältst die Jacke am besten gleich an.« Er wusste, wie leicht Philipp fror.
In der ersten Stunde nach dem Abendessen saßen Yves’ Frau und seine Mutter noch mit ihnen im Salon. Philipp wunderte sich, dass sie nicht müde wurden, den eigenen Champagner zu trinken.
»Der Bäcker isst auch sein eigenes Brot«, erklärte die Mutter. »Ich halte es wie die berühmte Madame Bollinger: Ich trinke meinen Champagner, wenn ich glücklich bin und wenn mich etwas traurig macht. Manchmal trinke ich allein, aber in Gesellschaft ist es sowieso obligatorisch. Ichgönne mir ein Gläschen, wenn ich keinen Appetit habe, und trinke ihn, wenn ich hungrig bin ...«
»Und sie rührt ihn niemals an, außer sie ist durstig«, ergänzte die Schwiegertochter. Natürlich reichten die beiden Flaschen nicht, und als sie allein waren, holte Yves unten Nachschub.
»Wie geht es deiner Firma«, wollte er wissen, als er wieder oben war, »wie laufen die Geschäfte?«
Philipp machte ihm gegenüber kein Geheimnis daraus, was bei France-Import geschah. Als besonders lächerlich empfand er die Tatsache, dass Langer sogar Prospekte verteilte.
»Und wie geht es ihm dabei?«
»Wie es Monsieur Langer geht?« Philipp zögerte mit der Antwort, und allein daran merkte Yves, dass Philipps Begeisterung für seinen Arbeitgeber gelitten hatte. Er grinste, mehr belustigt als besorgt.
»Ist was nicht in Ordnung?«
»Das wüsste ich auch gern. Heute Morgen war er freundlich, zuvorkommend, er wünschte mir eine gute Reise – aber ich glaube, es geht ihm nicht gut.«
»Schlechte Geschäfte?«
Yves war verschwiegen, ihm konnte er vertrauen, und Yves verfügte über Weitblick. Er war Doktor der Philosophie, und sein Beruf verlangte Diplomatie, und trotzdem musste er Menschen und ihr Verhalten beurteilen. Er verdiente sein Geld in der Leitung der städtischen Personalabteilung von Reims.
»Die Geschäfte gehen gut. Ich glaube eher, dass ihm seine Pläne zu schaffen machen. Vielleicht beeinflussen ihn auch die falschen Leute.« Philipp dachte an den Kölschen Klüngel und an Goodhouse. Wie lange kannten sich die beiden? Dann setzte er Yves seine momentane Lage und die der Firma auseinander sowie Langers Pläne, ihm die Arbeit für den Champagner-Fonds anzuvertrauen. »Deshalb bin ich hier. Hast du von diesem Fonds gehört?«
»Mein lieber Philipp. Es gibt 327 Champagnerhäuser, die
Négociants-Manipulants
, NMs, wie wir sie nennen. Dazu kommen 4.764 Winzer, die Trauben anbauen und
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