Champagner-Fonds
ihm hatte sie drei Jahre gedauert. Und es gab Dinge im Leben, die verlernte man glücklicherweise nie. Was konnte schöner sein, als diesen Durst miteinander zu stillen?
Philipp musste sich gewaltsam von der Erinnerung an ihr gemeinsames Wochenende losreißen, um nicht an die Leitplanken zu knallen. Helena war eine interessante Frau, sie hatte Geschmack, sie sah gut aus – der einzige Wermutstropfen war, dass sie beide das Gefühl hatten, dass alles zu schnell ging, und sie standen sich ein wenig atemlos gegenüber.
Hinter der Ausfahrt nach Verdun wandten sich seine Gedanken wieder Langer zu. Er hatte von einem Mann namens Gérard Touraine gesprochen, der sich in Reims um den Champagner-Fonds kümmerte. Die Telefonnummer hatte er in der Tasche, Touraine sollte sich bei ihm melden, wahrscheinlich noch heute. Langer kannte ihn nicht persönlich, aber Mister Goodhouse hielt angeblich große Stücke auf ihn, es war sein Mann in der Champagne, der sich um die Hardware des Champagner-Fonds kümmerte, um die Flaschen, die Käufe, die Verkäufe und den Produktionsprozess. Das war für Philipp der kritische Punkt: die drei Schritte in der Herstellung des Champagners und die damit verbundenen önologischen Entscheidungen.
War Gérard Touraine mit Alain Touraine verwandt, dem bekannten Soziologen und Verfechter radikaler demokratischer Ideale? Es gab die merkwürdigsten Konstellationen in den Familien, sie reichten von innigster Zuneigung bis zu absoluter Feindschaft. Touraine war kein Name wie Meier oder Müller, von denen es Hunderte gab, oder schrieb er sich Tourraine, mit doppeltem r, wie die Region um die Stadt Tours? Er hatte in Goodhouses Auftrag bereits die Aufbauarbeit für den belgischen, den britischen und holländischen Fonds geleistet. Daher würde er sicher diverse Kellermeister kennen, die Chefs de Cave, und mit ihnen zusammen bei den aufgekauften Champagnern die finale Mischung aus den diversen Reserveweinen herstellen. Entschied nicht der Kellermeister des jeweiligen Produzenten darüber? Dieser Mann musste ein Könner und ein Künstler sein. Es war für den Geschmack und den Erfolg entscheidend, ob der Wein später als
brut
, herbtrocken, oder als
démi-sec
, halbtrocken, geeignet war oder sogar als
doux
, als süßer Champagner, in den Handel kam, und er musste den Stil des jeweiligen Hauses wiedergeben.
Langer hatte darüber nur ungenaue Angaben gemacht. In seiner Liste fehlten auch einige Produzenten, und Langerkannte die Champagne nicht. Der bunte Prospekt zum Fonds wies lediglich einige Überschneidungen mit den Champagnermarken des Fondsbestandes auf. Vor Ort würde Philipp die Unterlagen einsehen und das Lager in Villers-Allerand besichtigen, verkehrstechnisch war es gut an die Autobahn angebunden. Das Dorf gehörte zur Montagne de Reims. Dort senkte sich das Hochplateau zur Marne hin, dort lagen die Champagnerorte am Rande des Plateaus wie an einer Perlenkette aufgezogen, denn hier trat die Kreide an die Oberfläche, und sie gab dem Champagner seinen besonderen Charakter. Philipp hatte nie in Villers-Allerand zu tun gehabt; auch hier lagen Millionen von Flaschen in den endlosen Kellergängen, die bereits vor Jahrhunderten in die Kreide getrieben worden waren. Ein Messer würde reichen, ein Stück aus einer der Tunnelwände zu schneiden, um damit auf einer Schiefertafel schreiben zu können.
»Flüssige Kreide«, so hatte der Moselwinzer Löwenstein den Champagner in seinem Essay zum Terroir sehr treffend genannt. Aber er war weit mehr als flüssige Kreide. Champagner war ein Lebensgefühl, ein Luxus, ein Genuss und ein Fest, ein schöner Anblick und ein eleganter Duft, dazu der feine Geschmack, Frucht und Mineral, weich und hart, eigentlich ein Widerspruch, und doch ein großartiger Wein eben, auf eine ganz spezielle Art gemacht.
Heute wollte Philipp nach Avize an die Côte des Blancs, südlich von Épernay, wo ausschließlich Chardonnay-Trauben angebaut wurden. Der Boden dort bestand aus Ablagerungen verschiedenartigsten Gesteins, von Kalk bis zu Kreide und Mergel. Noch weiter südlich, nach Vertus zu, überwog die Kreide wieder. In Avize würde er Quartier nehmen, wie immer in der alten Villa von Madame Clémentine Delaunay, die an die Kellerei ihres Sohnes Yves heranreichte. Seit Jahren logierte er dort, und Yves war ein Freund geworden.
Es war für Philipp eine Erleichterung, nicht auf Kartenoder Navigationsgeräte angewiesen zu sein, er kannte sich aus, erinnerte sich an die
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