Champagner-Fonds
kleinen Vorgarten und öffnete die Tür. Sie schlug gegen die Glocke, Madame Delaunay erschien und freute sich riesig, als käme ein alter Freund zu Besuch.
»Wie geht es Ihnen? Haben Sie denn nicht endlich eine Frau gefunden und geheiratet? Ein Mann wie Sie kann doch nicht immer allein leben, das ist ja grässlich und einsam. Wie geht es Ihrem Sohn? Er studiert? Wann kommt er wieder mit? Ach ja, die Jugend, sie hat so andere Vorstellungen und Wünsche, meine Kinder, die Enkelkinder ...« Und sie erzählte, rannte in die Küche, wo eine Uhr klingelte und sie stolz ihre neue Espressomaschine vorführte. Bisher hatte sie einen wunderbaren Mokka auch ohne diese Maschine hinbekommen. Sie erinnerte sich daran, dass sie und Philipp bei seinem letzten Besuch zusammen gekocht hatten und sich über das Rezept in die Haare geraten waren. »In der Küche wie im Keller kann nur einer das Kommando haben.« Sie beklagte das Ausbleiben von Gästen, wo sie doch so schöne Zimmer habe, und sie könne das Mädchen aus dem Dorf nur selten beschäftigen. Ja, so sei das, eigentlich sei die Krise doch vorbei, zumindest sage das die Regierung. Ob die Deutschen nur noch in Deutschland Ferien machen würden?
»Oh, jetzt habe ich unseren Begrüßungschampagner ganz vergessen. Wenn Sie sich eingerichtet haben, erwarte ich Sie im Salon. Ach, und räumen Sie gern alles so hin, wie Sie es brauchen.« Lächelnd und doch ein wenig pikiert erinnerte sie sich daran, wie Philipp bei seinem letzten Besuch das Zimmer umgeräumt hatte. Er würde es auch diesmal wieder tun müssen.
»Wie geht es Ihrem Sohn? Ist er nicht da?« Yves war es gewesen, der ihn auf das Gästehaus seiner Mutter aufmerksam gemacht hatte, und Philipp fuhr lieber lange Strecken zwischen Reims im Norden und der Côte des Bar im Süden, die bis ans Burgund reichte, als in einem der großen Hotels abzusteigen. Dort war er einer von vielen, hier einer der wenigen, dem jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Und die abendlichen Gespräche mit Yves, dem Nebenerwerbswinzer und hauptberuflichen Philosophen, der ihn in seiner jungenhaften Art an die Figur des D’Artagnan aus Dumas’ Roman »Die drei Musketiere« erinnerte, waren äußerst hilfreich. Mit seinem Wissen um Hintergründe war es leichter, die wirklichen Verhältnisse in der Champagne zu durchschauen. Das würde hoffentlich auch dieses Mal so sein.
Im Übrigen waren Yves und er sich einig, dass die Verfilmung der »Drei Musketiere« von 1961 mit Mylène Demongeot als Milady de Winter die beste gewesen war. Darin hatte auch Kardinal Richelieu eine wahrhaft böse und hintergründige Figur abgegeben. Und gemeinsam hatten sie bedauert, dass es die wahrhaft bösen Figuren, die mit ihrer abgründigen Intelligenz faszinierten, nicht mehr gab. Gegenwärtig dominierten die platten Charaktere vom Schlage Berlusconi, Ratzinger und Ackermann das Zeitgeschehen oder Dutzendgesichter aus den Werkstätten des Marketing.
Philipp stieg hinauf zu seinem Zimmer im Obergeschoss des Haupthauses, der Empfang, die beiden Salons sowie die Küche lagen im Parterre. Madame Delaunay war seit LangemWitwe, sie wohnte mit Yves’ Familie im ersten Stock des Nebengebäudes, zu ebener Erde war die Halle für die Ackergeräte und den kleinen Traktor. Die Gästezimmer waren mit viel Liebe eingerichtet, für Männeraugen waren sie mit Krimskrams vollgestopft. Philipp räumte Gießkannen aus Messing, hübsche Pappschachteln des 19. Jahrhunderts (noch mit Schleife versehen) und Porzellanfigurinen beiseite und fand Platz für sein provisorisches Büro. Das Tischchen für den Laptop war Louis XIV. Es wackelte, er würde Yves um Leim bitten. Die Tür des Kleiderschranks, Louis XV, quietschte entsetzlich, schwang immer wieder auf und ließ sich nicht abschließen. Der Strauß Trockenblumen (der verantwortliche Ludwig offenbarte sich hier nicht) musste von der Fensterbank verschwinden, wenn Philipp das Fenster öffnen wollte. Was mochte Helena bei ihrem Besuch gedacht haben? Hatte sie sein Haus und die Einrichtung als kalt und männlich empfunden? So wie ihre Wohnung eingerichtet war, würde es ihr hier gefallen.
Der Champagner, zu dem Madame Delaunay Philipp in den Salon bat, der mit seinen vielen Gemälden während nächtelanger Gespräche mit Yves ihre Fantasie beflügelte und zu den wahnwitzigsten Ideen brachte, entstand in den Gewölben dieses Hauses. Für Yves war Champagner mehr ein Hobby. Hätte er die drei mit Chardonnay-Trauben bestockten
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