Champagner und Stilettos
Couch bequem, ich verzieh mich nämlich Richtung Bett. Ganz im Ernst, Nola, es ist alles okay mit mir. Ich glaub, ich könnte einfach ein paar Minütchen Ruhe vertragen. Meine Mutter war geradezu erschreckend unaufdringlich, aber bisher hatte ich noch keine Sekunde für mich. Wobei das in Zukunft vermutlich nicht das Problem sein wird …«
Nach weiteren zehn Minuten harter Überredungsarbeit zog Nola endlich ab, was Brooke weniger erleichterte als gedacht. Nach dem heißen Bad hockte sie sich in ihrem gemütlichsten Baumwollpyjama und ihrem gammeligsten Morgenmantel aufs Bett und klappte ihren Laptop auf. Eine ihrer eisernen Eheregeln lautete: Kein Fernseher im Schlafzimmer – was auch für Computer galt –, doch da im Augenblick von Julian weit und breit nichts zu sehen war, durfte sie wohl halbwegs guten Gewissens irgendeinen Schwachsinnsfilm Marke »Sex and the City« runterladen und sich für heute ausklinken. Sie erwog kurz, noch einen Becher Eiscreme mit an Bord zu nehmen, aber das hätte dann doch zu sehr nach Bridget Jones ausgesehen. Es gelang ihr, sich streng auf den Film zu konzentrieren und keinen Gedanken an die böse Welt da draußen zu verschwenden, doch sobald er aus war, beging sie einen fundamentalen Fehler. Genauer gesagt, zwei.
Die erste katastrophale Idee war, ihren Anrufbeantworter abzuhören. Sie brauchte fast zwanzig Minuten für die dreiunddreißig Nachrichten, die seit dem Tag der Grammy-Verleihung eingegangen waren und einen erstaunlichen Stimmungsknick dokumentierten – von den guten Wünschen aus dem Freundes- und Familienkreis am Sonntag bis zu den jüngsten Botschaften, die fast ausnahmslos nach Beileidsbekundungen klangen. Die Mehrzahl der Nachrichten stammte von Julian, alle mit einer halbherzig klingenden Variante von »Ich kann es dir erklären« in angemessen flehentlichem Ton, allerdings ohne ein einziges, klares »Ich liebe dich«. Des Weiteren jeweils eine tröstende und aufmunternde Ansage von Randy, ihrem Vater, Michelle und Cynthia, vier über die Tage verteilte Anfragen von Nola, was eigentlich los sei, gefolgt von Infos zu Walters Wohlergehen, und eine von Heather, der Vertrauenslehrerin an der Huntley, die Brooke in der italienischen Bäckerei über den Weg gelaufen war. Der Rest kam von alten Freunden, (Ex-)Kollegen und weitläufigen Bekannten, die sich allesamt anhörten, als sei jemand gestorben. Nachdem sie mit der letzten Nachricht durch war, hatte Brooke einen dicken Kloß in der Kehle.
Ihre zweite, absolute Schnapsidee war, ihre »Neuigkeiten« auf Facebook zu checken. Sie war auf viele begeisterte Einträge zu Julians Auftritt gefasst – schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass jemand, den man aus der Highschool oder dem College kannte, bei den Grammys sang. Was sie in ihrer Naivität nicht erwartet hatte, war der Zuspruch, mit dem sie förmlich überschüttet wurde. Er reichte von »Du bist stark, du stehst das durch« (von der Mutter einer ihrer Freundinnen) bis zu »da sieht man eben, dass alle männer a …löcher sind. machen sie sich nichts draus, mrs. a, wir sind alle auf ihrer seite!!!« von Kaylie. Unter anderen, weniger demütigenden Umständen wäre es himmlisch gewesen, so viel Zuneigung und Ermutigung zu erfahren, aber so war es schlicht eine Tortur, nicht zuletzt, weil sich nun endgültig nicht mehr leugnen ließ, dass ihr privates Elend in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wurde, und zwar nicht nur vor Wildfremden. Solange in ihrer Vorstellung Massen namenloser, gesichtsloser Amerikaner die Bilder von ihrem Mann und der Chateau-Mieze unter die Lupe nahmen und nicht ihre Freunde und Verwandten, Kollegen und Bekannten, war es noch einigermaßen auszuhalten gewesen.
Die doppelte Dosis Schlaftabletten, die sie an dem Abend vorsorglich nahm, bescherte ihr am folgenden Tag zwar das Gefühl, die Nacht durchgesoffen zu haben, nicht aber den unmittelbar und sehnlichst erwünschten, totenähnlichen Schlaf. Bis zum frühen Nachmittag drangen in ihren Tran nur Walter und das unablässig klingelnde (hartnäckig nicht beachtete) Telefon. Allein die Angst, auch noch den Job an der Huntley zu verlieren, hielt sie davon ab, sich dort für den Tag krankzumelden. So zwang sie sich schließlich unter die Dusche, aß einen Vollkorntoast mit Erdnussbutter und machte sich weit vor der Zeit zur U-Bahn Richtung Upper East Side auf. Entsprechend war sie eine Viertelstunde zu früh bei der Schule, bewunderte ein Weilchen die mit Efeu überwachsene
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