Chancen, Risiken, Folgen 1 Bonus Tomaso erzählt
gefunden werden. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich hierbleibe.
Jeden Morgen und Abend umrunde ich die Insel und halte Ausschau. Wonach? Ich weiß es nicht und trotzdem behalte ich das Ritual bei. Kochen tu ich nicht mehr, wozu auch? Es gibt reichlich Früchte hier und Hunger habe ich sowieso keinen. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich eine Schwangerschaft diagnostizieren, doch das ist ja leider unmöglich. Ich hätte gern ein Baby von Daniel.
Langsam werde ich irre und phantasiere von Daniel und mir als Familie, Vater, Mutter und Kind. Die Seife ist aufgebraucht und ich muss inzwischen wie ein Wilder aussehen, mit dem verfilzten Haar und der dunklen Bräune, die meine Haut angenommen hat. Wie lange ist Daniel schon weg? An den Kerben, die ich jeden Morgen als Kalenderersatz in einen Palmenstamm schnitze, zähle ich über sechzig Tage. Zwei Monate Schmerz, der einfach nicht nachlassen will.
Zehn Kerben später erklingt plötzlich Motorenlärm. Ich bin gerade auf meinem nachmittäglichen Rundgang und verstecke mich unter ein paar Palmen, als die Propellermaschine über mich hinwegfliegt. Ein Fallschirm mit einem Paket wird abgeworfen, dann folgt ein Mensch und ich bin fast sicher, dass es Daniel ist. Mein Puls beginnt zu rasen und ich muss mich wahnsinnig zusammenreißen, damit ich nicht losrenne wie ein gehetztes Tier. Ist Daniel zurück? Oder – will er mich nur überreden, hier wegzugehen? Ich laufe mit kontrolliertem Tempo zurück zum Lager.
Es ist wirklich Daniel, der vollkommen verloren neben der Feuerstelle steht. Ich reiße mich zusammen und mobilisiere alle Kräfte, um mich davon abzuhalten, ihm vor die Füße zu fallen.
„Was willst du hier?“
Betont langsam schlendere ich über die Lichtung auf ihn zu und halte dabei den Sonnenschirm betont lässig. Jetzt bin ich froh über den Lendenschurz, den ich mir gebastelt habe, denn Daniel hat es nicht mehr verdient, mein Zuckerstängchen zu sehen.
Ich bekomme sogar einen distanzierten Blick hin, der ganz ordentlich zu sein scheint, denn Daniel bewegt sich keine Schritt auf mich zu.
„Wenn du hier bist, um mich zu retten, kannst du gleich wieder abhauen“, sage ich und gehe– in gebührendem Abstand – um ihn herum.
„Ich – wollte dich wiedersehen“, krächzt Daniel.
„Na toll“, spotte ich, „Nun hast du mich gesehen, damit wäre das dann wohl erledigt.“
„Du freust dich nicht, dass ich wieder hier bin?“ Er schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeans und wippt nervös auf den Fersen vor und zurück.
„Nein – und ja“, sage ich, lege den Schirm weg und lass mich neben der Feuerstelle ins Gras plumpsen. „Als du abgehauen bist, war ich erst sauer – und traurig. Doch mit der Zeit habe ich dich vergessen und bin nun sehr zufrieden mit dem Leben hier. Ich habe alles, was ich brauche. Warum sollte ich dich also herbeisehnen?“
Für einen Moment sieht Daniel aus, als wäre ihm jemand mit Schwung auf die Zehen getreten, dann dreht er sich um.
„Ich geh mal das Gepäck suchen“, sagt er und verlässt die Lichtung.
Was soll ich nun machen? Vor Nervosität zittern mir die Finger. Ich sitze eine Weile dumm herum, bis ich mir eine Beschäftigung suche. Das Geschirr muss gewaschen werden und die Decken gelüftet, Staub gewischt habe ich auch lange nicht mehr. Nachdem das alles erledigt ist, nehme ich ein paar Bananen aus meinem Vorrat und knie mich wieder neben die Feuerstelle. Ich bin gerade dabei die Früchte zu schälen, als Daniel schwer beladen zurückkehrt.
Er wirft die Taschen neben mir ins Gras und wühlt darin herum. Ich schenke ihm keine Beachtung, doch die Neugier regt sich in mir. Ob er ein Geschenk für mich hat? Es muss die Nutte in mir sein, die so etwas denkt.
„Hast du vielleicht Vaseline dabei? Bräuchte welche für meine Lippen“, brumme ich.
Daniel kramt wieder und diesmal legt er ein Päckchen vor mir ab. Ich mustere es zwar aus dem Augenwinkel, schäle aber weiter bemüht uninteressiert die Bananen. Daniel steht so nah bei mir, dass ich seinen Duft wittern kann. Meine Nasenflügel blähen sich und ich hoffe, er merkt es nicht. Nach einer Weile regt er sich.
„Ich geh zum Strand“, sagt er und trottet davon.
Kaum ist er außer Sichtweite, lass ich alles fallen und schnappe mir das Päckchen. Seife und Shampoo, Vaseline, ein Kamm und Bürste. Allerlei Schätze breite ich vor mir aus und für einen Moment bin ich selig und vergesse alles andere. Das ist wirklich die
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