Change
weil dies die schwächste Stelle ist und weil er dir so zeigen kann, dass dein kleines Spiel nichts gebracht hat.“
„Siehst du es denn so? Als Spiel? Nichts weiter? Als etwas Sinnloses?“, fragte ich Uriel, plötzlich sehr niedergeschlagen. Natürlich hatte ich mit den von Uriel aufgezählten Möglichkeiten gerechnet, doch so mit ihnen konfrontiert zu werden ließ meine Hoffnung, die ich insgeheim doch bewahrt hatte, sterben. Es schmerzte. Ich fühlte mich plötzlich sehr schwach und menschlich ohnmächtig. Doch war ich dies nicht auch?
„Nein, für dich ist es kein Spiel, das sehe ich. Der Grund, warum du so handelst, er bleibt mir verschlossen, doch ich sehe, dass es dir wichtig ist. Und du hast etwas erreicht – was auch immer dies wert sein mag. Doch das macht es zu etwas Bedeutenderem als bloß einem Spiel.“, lenkte der Engel ein, blieb stehen und brachte mich ebenfalls zum Anhalten, indem sie meinen Arm ergriff.
„Du bist zu menschlich geworden, ich jedoch bin es nicht. Daher kann ich es nicht nachvollziehen. Nur eines empfinde ich: Trauer darüber, dass ich dir nicht helfen kann. Ich hoffe trotz allem, das dein Schicksal gnädig mit dir sein möge.“, flüsterte Uriel mir zu, eindringlich, trat dann zurück. Der Wind ergriff eine ihrer Haarsträhnen, spielte damit. Der Anblick war außerordentlich schön und traurig zugleich. Nur ein Engel konnte in solch majestätischer Anmut stehen. Ich konnte es nicht mehr, hatte mich zu sehr den Menschen angepasst. War letztendlich selber einer geworden.
„Vale, Michael.“, erklang ihre Stimme in einer unbekannten Melodiösität. Ich sah ihr nach, wie sie davonlief, mit weichen Schritten, elegant und schnell zugleich. Dies war ein Abschied, nicht nur von Uriel, das wurde mir just in diesem Moment schmerzlich bewusst.
29. Kapitel
September 1994 - Aiden
Wenn ich auf eines vertrauen konnte, dann war dies Mikes Hartnäckigkeit. Wie weit hatte er mich mit dieser Charaktereigenschaft doch schon gebracht. Nicht nur dazu, einen Entzug durchzuziehen, auch vieles mehr, wogegen ich mich ursprünglich gesträubt hatte, hatte ich letzten Endes doch getan. So zum Beispiel auch Mike die Wahrheit über meine Vergewaltigung zu erzählen.
Widerstrebend war dies geschehen und Mike musste mich regelrecht dazu zwingen, ihm alles zu offenbaren, jedes Geheimnis, das ich verschwiegen hatte um ihn nicht zu belasten, jeden Dreck hatte ich entblößt. Das unglaubliche Gefühl vollkommener Verletzbarkeit danach hatte mir nicht gefallen – bis ich mich daran erinnert hatte, das Mike mich nicht verletzen würde, das er meine Verwundbarkeit nicht ausnutzen würde – im Gegenteil. Er würde mich schützen. Bei ihm war es egal, wie verletzlich ich war – ich brauchte keine Angst zu haben.
Es war eine Erkenntnis, vor der ich mich lange versperrt hatte. Zu lange. Die Einsicht machte es mir viel leichter, mit Mike umzugehen. Es klang banal, nicht bedeutend – doch für mich machte es einen großen Unterschied.
War ich, kurz nachdem mir Mike die ganze Wahrheit abgefordert hatte, mit der allgemeinen Situation unzufrieden, so gab sich dies wenige Tage später. Denn Mike zeigte mir, wie einfühlsam er sein konnte. Er erwähnte das Gesagte nicht noch einmal, doch wann immer er mir näher kam, verhielt er sich zurückhaltend und ließ mir Zeit: Er wartete zuweilen sogar, bis ich ihm ein direktes Zeichen gab, das er weitermachen konnte.
Mikes Hände, von einer erregenden Rauheit, dennoch so unglaublich feinfühlig, strichen über meinen bloßen Rücken, hinterließen ein warmes Gefühl auf meiner frierenden Haut, ließen mich erschaudern. Das Fehlen der Wärme spürte ich umso stärker, als der mir gegenüberliegende Junge seine Hand wegnahm und mich nur noch abwartend ansah. In seinen braunen Augen lagen unbenennbare Gefühle, doch ich konnte nur allzu deutlich etwas Altbekanntes aus ihnen lesen – Unsicherheit und Begierde. Es war unverkennbar, dass er darauf wartete, dass ich etwas machen würde – etwas, das ihm zeigen würde, dass er weitermachen konnte. Und ich wollte ihm dieses Zeichen geben – doch leider war ich selber zu unbeholfen, zu nervös. Ich wusste nicht, woher Mike diese Sicherheit und Ruhe nahm, während ich selbst noch immer ein nervöses Bündel in seiner Nähe war.
Die Luft war unangenehm kalt auf der Haut, die von dem hochgezogenen Shirt entblößt wurde. Gänsehaut bildete sich, ein Schauder durchfuhr mich. Ich sehnte mich nach Mikes
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