Chaos über Diamantia
passieren, wenn er ertappt und des Schwindels überführt würde? Es erschien ihm schwer vorstellbar, daß seine Tat die Verhandlungsdelegation hinreichend aus ihrer Lethargie reißen würde, um ihn mit schweren Sanktionen oder gar einer Haftstrafe zu belegen. Wahrscheinlicher war, daß man sein Manöver höheren Orts gar nicht bemerken würde.
Der Gedanke munterte ihn auf.
Bei seiner Rückkehr war er überrascht, Struthers im Korridor auf ihn warten zu sehen. Der Sergeant raunte ihm zu: »Bei mir im Vorzimmer sitzt ein diamantischer Professor, der Oberst Morton sprechen will. Er sagt, er habe eine Verabredung, und ich habe im Terminkalender nachgesehen, es ist wahr.« Struthers hielt ihm einen Tischkalender vor die Nase und zeigte auf eine Eintragung.
Bray blickte auf seine Uhr: 10.15. Die Eintragung für diese Zeit zeigte den Namen Professor Luigi Pocatelli. Morton hatte darunter geschrieben »vertraut mit Irsk-Angelegenheiten«.
Bray zuckte die Achseln. Tatsächlich hatte er viel Zeit. Und der Besucher schien nicht irgendwer zu sein. »Schicken Sie ihn ‘rein«, sagte er zu Struthers. »Ich nehme die andere Tür.«
Professor Pocatelli war ein kleiner, rundgesichtiger, lächelnder Diamantier. Worüber er lächelte, wurde bald klar; denn als Bray die Tür schloß, zog er eine Handgranate aus seiner Jackentasche und sagte mit gespannter Stimme, doch ohne sein Lächeln zu verlieren: »Sie werden mich begleiten, Sir, oder ich werde den Zünder von dieser Handgranate ziehen, und das wäre unser beider Ende. Was mich angeht«, fuhr er in zunehmend dramatischem Ton fort, »ich werde glücklich sterben, in dem Bewußtsein, mein Leben für das diamantische Volk gegeben zu haben. Was Sie betrifft …« Er ließ es offen.
Angstgedanken spiralten durch Brays Gehirn. Er schluckte, aber das Gefühl von Schock ließ keinen Laut über seine Lippen kommen. Mühsam versuchte er, seine Gedanken zu sammeln und zu überlegen, was er tun könne.
16.
Der Schock verging.
Mit der Erlaubnis seines Entführers steckte Bray seinen Kopf durch die Vorzimmertür und sagte zu Struthers: »Der Professor und ich gehen aus. Wir sehen uns später.«
Wenn der Sergeant überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Darf ich fragen, Sir«, sagte er, »wo ich Sie erreichen kann?«
»Ich werde ein paar Fundstücke besichtigen«, sagte Bray glatt, »und ich werde Sie von dort anrufen.«
»Sehr gut, Sir.«
Bray und der Professor verließen Mortons Büro durch die andere Tür und gingen nebeneinander durch den Korridor zur Treppe. Der gefährlich lächelnde Diamantier hatte eine Hand in der Tasche und war in einem sichtlich überstimulierten Zustand.
Dann waren sie draußen, und nun war es an Bray, mit dem Schwitzen anzufangen, und nicht nur, weil ihn die Mittagshitze Diamantias aus wolkenlosem Himmel traf. Rasche, nervöse Gesten Pocatellis dirigierten ihn zu einem kleinen Wagen, der hundert Meter vom Straßentor entfernt wartete. Ein kraftstrotzender junger Diamantier saß am Steuer. Ohne ein Wort klappte dieses Individuum die Lehne des Beifahrersitzes nach vorn und stieß die Tür auf, so daß Bray in den Fond kriechen konnte. Der Professor krabbelte hinterher und setzte sich an seine Seite. Sofort sprang der geräuschvolle Motor an, sie waren unterwegs.
Was folgte, war – abgesehen von der abzugbereiten Handgranate – eine weitere wilde Fahrt durch die Straßen Neu Neapels. Bray, der mit der großen Stadt ohnedies nicht allzu vertraut war, verlor bald die Orientierung. Resigniert ergab er sich in sein Schicksal, während der Professor redete und redete, um nach einer Weile zu bemerken, daß ausgerechnet die Irsk Thema des Monologs waren.
Bray merkte auf. Denn hier war Information, die für Morton interessant sein könnte. Und als Pocatelli erklärte, jeder Irsk – sofern er ein Haus besaß – habe einen Raum, worin er die Leichen seiner Eltern und Vorfahren verwahre, sagte er:
»Sie machen Witze.«
»Nein, nein. Sehen Sie, die Irsk glauben, daß kein Irsk wirklich stirbt. So erhalten sie die äußere Hülle, den Körper. Die meisten bleiben in diesen Ahnenkammern verborgen und werden anscheinend niemals bewegt oder entfernt. Aber wir haben Berichte von Leuten, die einige von diesen leeren Hüllen in den Wäldern umherwandern sahen. Es muß Milliarden von ihnen geben, und nur ein Bruchteil dieser Zahl kann in den gegenwärtig stehenden Häusern verwahrt sein, aber wo die anderen alle sind, wissen wir nicht.«
Bray
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