Chaosprinz Band 1
Zweideutigkeiten, scheiß rote Birne – alles in allem: scheiß-peinlich.
Der junge Mann mir gegenüber mustert mich misstrauisch. Er trägt einen weißen Mantel. Offensichtlich ist er einer der anderen Ärzte. Sein Blick hinter der modischen, schwarzen Hornbrille ist streng, der Zug um seinen Mund herum unfreundlich. Ich kann ihn jetzt schon nicht leiden.
»Aha«, murmelt er. Mit einer schnellen Handbewegung deutet er an, dass ich ihm folgen soll. Sehr charmant, wirklich.
Ich trabe ihm wie ein Trottel hinterher, durch lange Gänge, vorbei an verschiedenen Untersuchungsräumen, in denen verzweifelte Tierchen sitzen, die mich mit ihren traurigen Blicken dazu auffordern, sie zu retten. Der unfreundliche Doc öffnet eine Tür und lässt mich wortlos eintreten.
Manuel steht vor einem Tisch. Auch er trägt jetzt so einen weißen Kittel. Das sieht sehr ungewohnt aus – aber auch verdammt gut.
»Hey, da bist du ja, ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst. Schau, Ikea ist aufgewacht! Es geht ihr schon wieder besser. Ich denke, sie hat sich nur den rechten Flügel gebrochen, aber das bekommen wir wieder hin. Außerdem habe ich ihr Medikamente gegen Würmer, Läuse und Viren gegeben. Man weiß ja nie, was diese Vögel alles haben. Besonders, wenn sie sich in Bahnhöfen aufhalten.«
Ikea sitzt ziemlich benommen auf dem Untersuchungstisch. Ihr rechter Flügel ist mit einem weißen Verband umwickelt.
»Hi Ikea, ich bin's, erinnerst du dich? Du hast mich geärgert, vollgeschissen und dann… Also, was ich eigentlich sagen wollte: Es tut mir sehr leid, dass ich dich getreten habe und ich hoffe, deinem Flügel geht's bald wieder besser.«
Manuel steht neben mir und lächelt mich an. Er ist so groß, ich muss meinen Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzublicken.
»Mach dir keine Sorgen, wir kümmern uns gut um sie.«
»Denkst du, sie wird mir eines Tages verzeihen?«, frage ich ihn flehend.
»Wer könnte dir denn nicht verzeihen?«
Oh! Unter seinem warmen Blick werde ich sofort rot. Und ich habe das Gefühl, auch seine Wangen verfärben sich ein wenig.
»Chrm, chrm.« Das Räuspern lässt uns auseinander fahren. In der Tür steht Doc Unhöflich und starrt zu uns herüber.
»Marc, ich hab dich gar nicht gesehen. Äh, komm doch rein. Also, Tobi, das ist Dr. Marc Reuter, mein Kollege und –«
»– Partner!« Marc reicht mir die Hand. Seine Miene ist eiskalt. Verdutzt wechselt mein Blick von Marc zu Manuel, der nervös lächelt und sich die wuscheligen Haare aus der Stirn streicht. Also doch schwul. Wow, wer hätte das gedacht.
»Äh, hi.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
»Marc, ich habe Tobi am Bahnhof getroffen. Wir haben dort eine verletzte Taube gefunden«, erklärt Manuel.
»Interessant.« Marc lässt mich keine Sekunde aus den Augen und stellt sich eng neben Manuel, um ihm sofort besitzergreifend eine Hand auf die Schulter zu legen. Wovor hat dieser Spinner eigentlich Angst? Dass ich hier quer über den Tisch springe und Manuel seinen weißen Kittel vom Körper reiße, um mich dann mit ihm zwischen Wurmkuren, Spritzen und Darmeinläufen zu wälzen?
Mann, wo bin ich denn da reingeraten? Ich meine, woher hätte ich denn bitte schön wissen sollen, dass er vergeben ist? Außerdem haben wir überhaupt nicht geflirtet, zu keinem Zeitpunkt. Oder? Und warum sollte ein Traumtyp wie Manuel etwas von einem Jungen wie mir wollen? Er ist schätzungsweise knapp zehn Jahre älter als ich und hat einen unfreundlichen, aber dennoch sehr attraktiven Freund, also…
Unangenehmes Schwiegen breitet sich im Raum aus und ich könnte vor Erleichterung in Jubelgeschrei ausbrechen, als mein Handy klingelt.
»Entschuldigt mich, bitte.«
»Aber natürlich.« Marcs Stimme ist zuckersüß, sein Blick mörderisch.
»Hallo?«
»Auch hallo! Na, hast du eine schöne Zeit da drinnen? Lass dich nur nicht hetzen, ich liebe es, zu warten, und stehe hier auch gerne noch ein halbes Stündchen. Mhm, es riecht so schön nach Hundepisse.«
»Hör auf zu heulen, Arschloch. Ich komme ja schon.«
»Wunderbar, du kannst mich gar nicht verfehlen, ich bin der Kerl mit dem freudigen Lächeln im Gesicht.«
Ich lege auf. Sofort kann ich wieder meinen Puls fühlen. Gott, wie schafft es dieser Typ nur, mich so wahnsinnig wütend zu machen? Ich höre seine Stimme, den arroganten, sarkastischen Unterton und schon möchte ich schreien und irgendwas zerschlagen. Am besten seine dämliche Hackfresse. Und dabei passt das gar nicht zu mir.
Ich
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