Chaosprinz Band 1
meine ausgestreckte Hand. »Ach, sag bloß… Können wir jetzt?«
Ich muss zweimal kräftig schlucken. Das habe ich ja total vergessen: Dieser Typ sieht zwar aus wie ein vom Himmel gefallener Engel, ist aber ein Riesenwichser vor dem Herrn.
»Ja«, fauche ich zurück. Gut, lassen wir die Höflichkeiten, mir doch egal. Ich gehe zum Kofferraum des Daimlers und warte darauf, dass Alexander ihn öffnet.
»Das nächste Mal, wenn ich dich abholen soll, wartest du gefälligst draußen. Ich bin doch kein Taxi, das man so lange warten lassen kann, wie man will.« Geräuschvoll schlägt er den Kofferraumdeckel wieder zu.
Ich schnaube wütend. »Keine Sorge, wenn es nach mir geht, musst du mich nie wieder abholen.«
»Das wäre ja zu schön.« Er deutet auf das große Schild an dem gusseisernen Tor. »Was hast du hier überhaupt gemacht? Tierklinik. Bist du krank?«
»Sehr witzig.«
»Und wer war der Typ?«
»Ein Freund!«
»Du bist gerade mal drei Stunden in München und hast schon einen Freund gefunden?«
»Ich bin ein netter, umgänglicher Mensch mit einer sympathischen Aura. Ich brauche zehn Minuten und hab sofort eine ganze Handvoll neuer Freunde.«
»Glaub ich dir aufs Wort.«
Schwungvoll reiße ich die Beifahrertür auf und lasse mich auf den schwarzen Ledersitz fallen. Ich lasse mich nicht mehr provozieren. Seine zynischen Kommentare gehen mir am Arsch vorbei.
Er steigt ebenfalls ein, schnallt sich an und startet den Motor. Wir fahren einige Minuten, ohne einander Beleidigungen an den Kopf zu werfen.
Leise Musik unterstreicht die Stille. Wieder The Cure , aber dieses Mal A Letter to Elise . Ich mag den Song. Ob ich ihm das sagen soll? Nein, lieber nicht. Es käme ja sowieso nur wieder ein fieser Kommentar von ihm.
21 Uhr. Obwohl wir August haben, ist das Wetter eher herbstlich. Es hat die letzten drei Tage in ganz Deutschland geregnet. Ohne Sweatshirt oder Pulli wäre es viel zu kühl. Doch jetzt haben sich die Regenwolken verzogen. Die Sonne geht langsam unter. Rot und orange leuchtet der Himmel.
Im Auto ist es dunkel. Einzig die Beleuchtung des Armaturenbretts spendet noch etwas Licht. Das alles könnte sehr romantisch sein… der Sonnenuntergang, die Musik, die Dunkelheit… sein Duft… Ich kann gar nicht sagen, wonach er riecht. Wahrscheinlich irgendein teures Parfüm, keine Ahnung. Aber es ist toll, sehr toll.
Ganz, ganz vorsichtig drehe ich den Kopf zur Seite. Er schaut starr geradeaus, wirft nur hin und wieder einen Blick aus dem Fenster oder in den Rückspiegel. So lange kann er seinen Führerschein noch gar nicht haben, immerhin ist er wie ich gerade erst achtzehn geworden, aber er fährt sehr gut, konzentriert und sicher.
»Warum starrst du mich an?«
Ich zucke zusammen. Oje, hab ich mich vielleicht erschreckt. Gott sei Dank ist es so dunkel, dass er wenigstens nicht meine rote Birne sehen kann. Hektisch streiche ich mir die langen Haare aus dem Gesicht.
»Ich starre dich nicht an. Ich hab nur in deine Richtung gesehen.« Sehr gut, Tobi, guter Konter. Nur weiter so, dann hält er dich sofort für einen Vollidioten. Er schnaubt abfällig und ich versuche, schnell das Thema zu wechseln. »Warum war keiner von euch am Bahnhof, als ich ankam? War doch eigentlich so abgemacht.«
Jetzt sieht er mich an. Gut, ich hab ihn dazu gebracht, zu reagieren, aber das Funkeln in seinen Augen, das ich trotz Dunkelheit sehr gut ausmachen kann, ist nicht gerade die Reaktion, die ich mir erhofft habe.
»Frag mich was anderes. Ich habe keine Ahnung, warum dich keiner abgeholt hat. Irgendwann bekam ich einen Anruf von Dad. Ich sollte zum Bahnhof fahren, mehr weiß ich auch nicht. Und wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch scheißegal. Ich hab mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Von mir aus könntest du auch immer noch da sitzen.«
»Toll, wirklich sehr nett von dir!«
»Hab ich je behauptet, nett zu sein? Hör zu, Bambi…«
»Bambi?«
»Ich hab gesagt, du sollst mir zuhören! Ich habe vor drei Tagen erfahren, dass du bei uns einziehst, und wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht daran erinnern, dass jemals vorher von dir gesprochen wurde. Daher ist es mir auch so ziemlich egal, wer du bist und was aus dir wird. Wenn du ein Problem mit Dad hast, dann regelt ihr das unter euch. Ich will von der ganzen Scheiße nichts wissen.«
Die Kälte in seiner Stimme verletzt mich mehr, als wenn er mich anbrüllen würde. Mir fällt nichts ein, was ich erwidern könnte. Schweigend schaue ich aus dem Fenster. Was
Weitere Kostenlose Bücher