Chaosprinz Band 1
hat er gesagt? Mein Vater spricht nie von mir? Ich bin ihm total egal?
Noch immer ist mein Blick auf die Häuser gerichtet, an denen wir gerade vorbeifahren. Ich will ihn nicht ansehen, nein, bloß nicht. Meine Zunge fährt über die trockenen Lippen. Ich schmecke Salz. Eine salzige Flüssigkeit… nein, verdammte Scheiße, ich heule… Wie kann ich hier in diesem Auto neben diesem wunderschönen, grausamen Typen in Tränen ausbrechen?
Oh Tobi, du Weichei, verhalt dich doch einmal wie ein Mann! Er darf es nicht merken, er darf es nicht merken, er darf es nicht merken…
Sein Handy klingelt. »Hey, Tom, wie geht's?« Freisprechanlage.
»Kann nicht klagen. Wo bist du, Alter?« Eine fröhliche Stimme schallt aus den Lautsprechern.
»Ich bin noch unterwegs. Aber ich melde mich, wenn ich daheim bin, vielleicht komm ich dann noch kurz vorbei…«
»Wir sind alle bei Hanna. Wodka und Bier sind genug da, außerdem hat Sonja schon ein paar Mal nach dir gefragt.« Das Grinsen des Typen springt einen förmlich durchs Telefon an.
Alexander antwortet auf den letzten Kommentar nur mit einem langgezogenen Seufzen. Wahrscheinlich kann er sich gar nicht retten vor lauter Liebeserklärungen und freizügigen Angeboten. Ein richtiger Weiberheld. Krampfhaft umklammern meine Finger den Gurt der Umhängetasche. Ich versuche, möglichst regelmäßig zu atmen, um die beschissenen Tränen zurückzudrängen.
»Sag Sonja, sie kann mich mal…«
»Oh Alex, sei nicht immer so grausam zu den Ladys. Ich dachte, Sonja war ganz okay…«
»Okay ist mir aber ein bisschen zu wenig. Hör zu, wir reden ein anderes Mal drüber, Tom. Ich bin gerade nicht allein.« Ein Knurren in meine Richtung.
»Ach, stimmt ja, dein neues Stiefbrüderchen… Ist er süß?« Häh?
»Er kann dich hören«, presst Alexander zwischen den Zähnen hervor.
»Und? Ist er süß? Bist du süß?«
Ich weiß nicht, was ich auf diese direkte Ansprache antworten soll. »Äh… keine Ahnung…«
Der Typ am Telefon lacht laut auf. »Ich glaube, ich finde ihn süß.«
»Tschau, Tom, ich ruf dich an.« Alexander versucht, seinen Kumpel abzuwürgen.
»Ja, Alex, bis dann. Tschüss, süßes Stiefbrüderchen…«
Alex legt auf, bevor ich mich von diesem verrückten Kerl verabschieden kann.
»Wer war das?«
»Ein Freund. Tom.«
»Witziger Typ.«
»Zum Totlachen.«
Ja, schon verstanden. Er will nicht mit mir sprechen. Und so starre ich wieder auf meine Finger, fahre mit ihnen die Muster des Tragegurts nach.
»Oh, warum halten wir plötzlich?«
»Weil wir da sind.« Alex schnallt sich ab, macht den Motor aus und zieht die Handbremse an. Ohne die Musik und die Beleuchtung des Armaturenbretts ist es hier drinnen völlig dunkel und still.
Auch ich löse den Sicherheitsgurt. Stumm sitzen wir nebeneinander. Das Haus, vor dem wir stehen, ist riesengroß, genauso wie der Garten ringsherum. Alles sieht super gepflegt aus. Die Pflanzen, der Anstrich des Hauses, die Lackierung des Gartenzauns… einfach alles.
»Wie lange willst du noch hier herumsitzen, Bambi?«
»So lange, bis es mir keine Angst mehr macht.«
Ich kann seinen Blick auf mir spüren. »Das Haus muss dir keine Angst machen…« Den Rest des Satzes lässt er einfach so im Raum stehen.
Wir schauen uns eine Weile an. Die Leute sagen mir immer, man könnte in meinen Augen wie in einem offenen Buch lesen. Ich bin nicht in der Lage, meine Gedanken und Emotionen vor anderen Menschen zu verbergen.
»Augen sind die Fenster zur Seele. Und ich kenne niemanden, auf den dieser Spruch mehr zutrifft als auf dich.« Das behauptet Kalle zumindest immer.
Alex' Augen sind sturmgrau und auf den ersten Blick eiskalt und steinhart. Es ist so, als hätte er eine Art Jalousie hinter seinen Augen, die verhindern soll, dass man in ihn hineinsehen kann. Doch in eben diesem Moment, hier im dunklen Inneren des Autos, habe ich das Gefühl, dass da noch viel mehr ist als nur Kälte.
»Du tust es schon wieder.«
»Was?«
»Starren!«
»Du starrst doch auch.« Langsam werde ich sauer.
»Tu ich nicht!«
»Tust du wohl!«
»Ich beobachte dich, das ist ein Unterschied!«
»Warum beobachtest du mich?«
»Ich muss doch wissen, was für ein Freak hier in mein Haus zieht.«
»Ich bin kein Freak!« Okay, okay, das ist gelogen und eigentlich mag ich mich so ein bisschen freakig… Das gibt diesem arroganten Schönling aber noch lange nicht das Recht, mich zu beschimpfen.
»Alex? … Ich darf doch Alex sagen, oder?«
»Von mir aus kannst du
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