Chaosprinz Band 1
kennen dich schon sehr lange.«
Marc dreht den Kopf, um mich besser sehen zu können. Er will was sagen, lässt es aber sein. Ich glaube, er ist wahnsinnig aufgewühlt. Sehr, sehr durcheinander… Traurig… Ungefragt greife ich nach seiner Hand, halte sie fest und lasse sie auch nicht los, als er mich misstrauisch ansieht.
Kim bahnt uns einen Weg durch die verschwitzten Männerkörper und wir folgen ihm. Ich denke an Manu. Was wäre wohl passiert, wenn er hier gewesen wäre?
Wir steuern geradewegs auf den Ausgang zu, als Kim, der immer noch vor uns her läuft, von jemandem angesprochen wird. Ich kann nicht wirklich verstehen, was gesagt wird, der Lärmpegel ist ernorm, doch glaube ich, die Worte noch einen schönen Abend und man sieht sich bestimmt wieder zu vernehmen. Kim lächelt etwas unsicher, nickt, erwidert den Gruß.
Wie von selbst wandern meine Augen zu dem Mann, mit dem mein Freund sich gerade unterhält… Ben!
Er lehnt lässig an dem hohen Tresen der Bar, hält eine Bierflasche in der Hand und ist wohl gerade in ein Gespräch mit einem breiten Kerl vertieft, der ein- oder zweimal zu viel in einem Fitnesscenter gewesen zu sein scheint. Bens nackter Oberkörper glänzt feucht, das dunkle Haar fällt ihm verwegen in die Stirn und auf seinen schönen Lippen liegt ein strahlendes Lächeln, das ihn nicht nur freundlich, sondern auch unendlich verführerisch erscheinen lässt.
Wir haben ihn wohl im selben Augenblick entdeckt, Marc und ich. Wie auf Kommando drücken wir beide gleichzeitig etwas fester zu, umklammern die Hand des jeweils anderen und halten uns fest. Ben sieht mich, er lächelt lieb.
»Noch einen schönen Abend, Tobi«, ruft er gegen den Lärm an.
Ich sage nichts. Erst scheint sich Ben über meinen versteinerten Gesichtsausdruck zu wundern, dann erblickt er den dunkelhaarigen Mann neben mir.
»Marc«, formen seine Lippen. Er sieht überrascht aus… und tief erschüttert.
»Hallo«, sagt Marc laut und deutlich.
Ben ist ziemlich blass. Er fährt sich mit der freien Hand immer wieder durch die Haare und blickt zwischen Marc und mir hin und her. Unsere ineinander verschlungenen Finger hat er natürlich längst gesehen…
Er tut mir leid. Und Marc tut mir auch leid. Und ich mir irgendwie auch… Himmel, ist das eine beschissenen Situation!
»Wie geht es dir?«, fragt Ben schließlich mit halb erstickter Stimme.
»Gut, danke«, antwortet Marc ruhig.
Sie sehen sich an. Die Stimmung ist… Ich weiß nicht… Marc und ich halten uns so fest an den Händen, dass mir schon die Finger schmerzen.
»Wir müssen leider weiter«, meine ich endlich und schiebe Marc etwas Richtung Ausgang.
»Klar… okay, also … man sieht sich…« Ben versucht es mit einem kleinen Lächeln.
»Tschüss.« Marc lächelt nicht.
Ich schenke Ben einen aufmunternden Blick und bin dann einfach nur noch froh, als wir ihn nicht mehr sehen müssen und endlich den Perlenvorhang erreichen. Stöhnend schließe ich ganz kurz die Augen und genieße die kalte Luft, die sich auf meinen erhitzten Körper legt und nach dem stickigen Dunst, der im Inneren des Clubs herrscht, einfach nur noch gut tut.
Als wir auf dem Gehsteig stehen, kann ich mich nicht von dem Gedanken befreien, dass mich das Zorro heute Nacht wirklich enttäuscht hat. Ich dachte immer, der Club sei ein Ort, an dem man sich vor seinen Problemen flüchten könnte. Musik, Licht und Erotik. Eine Welt, in der die Zeit still steht, ein Ort, an dem man ewig jung, immer gut gelaunt und frei ist. Alltag gibt es hier keinen. Probleme werden vergessen.
Sehr naiv! Ich habe heute gelernt, dass Geister nicht an Orte und Zeiten gebunden sind. Sie leben in, durch und mit uns Menschen und wir können ihnen nicht entkommen… Himmel, ist das beschissen!
»Kim, holst du uns bitte das Auto?« Ich sehe ihn eindringlich an. Wir stehen immer noch vor dem Club.
»So weit ist es doch gar nicht, wir haben gleich dort hinten geparkt«, meint Kim. Er hat wohl keine Lust, den ganzen Weg alleine zu gehen.
»Bitte…« Ich sehe ihn sehr ernst an. Er stöhnt und setzt sich in Bewegung. Marc und ich bleiben alleine zurück. Abweisend verschränkt Marc seine Arme vor der Brust und folgt Kim dann langsamer.
»Es gibt nichts, was ich zu diesem Thema sagen will«, meint er schließlich. Er zieht wissend die Augenbrauen nach oben. Ich versuche erst gar nicht, meine Absichten zu leugnen, würde ja doch nichts bringen.
Es ist zwei Uhr. Mit dem Oktober hat sich auch der Herbst in die Stadt
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