Chaosprinz Band 1
Schloss. Ich muss zugeben, dass ich Angst habe, und am liebsten würde ich mich auf der Stelle umdrehen und wieder nach draußen in die kühle Nachtluft fliehen. Aber ich tu's nicht.
Vor mir liegt eine steile, dunkle Treppe. Rote Leuchtstoffröhren dienen zur Beleuchtung und sollen wohl die Stimmung anheizen. Also, bei mir funktioniert es. Ich atme einmal tief ein, lasse dann die Luft mit einem lauten Seufzen aus meinen Lungen entweichen und steige die Treppe nach unten. Bei jedem Schritt wird die Musik ein bisschen lauter, der Bass dröhnender. Ich folge ihm. Es ist, als ob mich seine tiefen Schläge rufen würden.
Unten angekommen, befinde ich mich in einem kleinen Vorraum. Ein Typ lehnt gelangweilt an einem Tresen und unterhält sich mit einem Kollegen. Sie entdecken mich und grinsen breit.
»Hallo, mein Hübscher, das erste Mal hier?« Wenn er spricht, kann man sein Zungenpiercing sehen.
»Ja.« Offensichtlich sieht man mir an der Nasenspitze an, dass ich ein Frischling bin. Peinlich. Aber es abzustreiten, wäre einfach nur albern.
»Na, dann komm mal her.« Zögernd mache ich einen Schritt auf den Tresen zu.
»Mensch, Torben, hast du schon mal so ein süßes Häschen gesehen?« Der Piercing-Kerl kriegt sich gar nicht mehr ein und ich weiß nicht, ob ich beleidigt sein soll oder mich lieber geschmeichelt fühle.
»Was kostet der Eintritt?«, frage ich etwas kühl und ignoriere die permanente Musterung des anderen Kerls. Der Piercingtyp grinst wieder.
»Normalerweise zehn Euro, aber weil heute dein erstes Mal ist...« Er grinst noch breiter, und ich werde langsam doch sauer. »... geht die Runde auf mich.«
»Danke!« Ich nicke ihm zu und gehe dann in Richtung Eingang.
»Hey, Kleiner…«, ruft mir der Piercingtyp hinterher, »pass schön auf dich auf!«
Nun verzieht auch der Kerl neben ihm sein Gesicht zu einem Grinsen und ich beeile mich, so schnell wie nur möglich von den beiden wegzukommen. Mit der rechten Hand schiebe ich die langen Ketten des Perlenvorhangs zur Seite, der vor der Eingangstür zum Club hängt.
Hitze schlägt mir entgegen. Die Luft ist stickig. Zigarettenrauch und der Geruch von Schweiß und Alkohol hängen tief und schwer im Raum. Aber da ist noch etwas… etwas Aufregendes… es riecht nach Aftershave, nach Mann… nach Sex… Ich fühle, wie sich die feinen Härchen auf meinen Unterarmen kribbelnd aufstellen.
Vorsichtig halte ich mich an der kühlen Betonwand fest und beobachte das wilde Treiben in der Mitte des Raumes. Männer jeder Altersklasse bewegen sich rhythmisch zur Musik. Viele tanzen ungehemmt und mit freiem Oberkörper, genießen die bewundernden, lustvollen Blicke der anderen. Durch die Hitze glänzen ihre Körper vom Schweiß. Sie lachen, sehen unheimlich frei und lebendig aus. Ich kann nicht anders, ich starre voller Bewunderung und Faszination auf die Tanzfläche.
Das Dröhnen des Basses kitzelt meine Fußsohlen, wandert meine Beine hinauf und dringt in meinen Bauch. Mein Herz verlässt seinen ursprünglichen Rhythmus und schlägt nun im Takt der Musik. Buntes Laserlicht, passend zum Klang und Tempo der Musik, erhellt den Raum in grellen Farben. Sie hypnotisieren mich, heizen die Stimmung an und machen aus den einzelnen tanzenden Männern eine einheitliche, lebendige Masse. Sie alle leben für diesen Moment, dieses Lied, den Typen in ihrem Arm, diese eine Nacht…
Ich verlasse die kühle Wand in meinem Rücken. Langsam gehe ich einige Schritte nach vorne und nähere mich der Tanzfläche. Ich bin unglaublich aufgeregt! Meine Handflächen fühlen sich unangenehm feucht an, ich habe immer noch eine Gänsehaut und das komische Ziepen in meinem Bauch will gar nicht mehr aufhören. Ich beiße mir fest auf die Zähne und versuche, gegen die pochende Angst in meiner Brust anzukämpfen. Reiß dich zusammen, Tobi!
Hier bin ich also: achtzehn Jahre alt, Single und Jungfrau, in einer offensichtlich angesagten Schwulendisco, umgeben von attraktiven, schwitzenden Gleichgesinnten… Ich meine: Was will ich eigentlich mehr?
Natürlich könnte ich auch nach Hause schleichen, mich in Noresund verkriechen, mit Elena Tee trinken und hoffen, dass mein Prinz irgendwann an der Tür klingelt, mich auf sein weißes Pferd zieht und mit in sein Königreich nimmt. Oder ich warte darauf, dass Alex alle weiblichen Wesen in München durchgefickt hat und letztendlich merkt, dass er doch nicht so hetero ist, wie er immer gedacht hat.
Bis dahin bin ich wahrscheinlich 48 Jahre alt, total
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