Charles
den Tag, an dem er Lanni mit zum Claim seines Großvaters genommen hatte. Als sie am Lagerfeuer gesessen und sich unterhalten hatten, hatte er sich gefragt, warum Lanni als Sekretärin tätig war, wenn sie ein Universitätsdiplom in der Tasche hatte. Für ihn hatte es keine Rolle gespielt. Er war so froh darüber gewesen, dass sie in Hard Luck war, dass er den Grund dafür gar nicht hatte wissen wollen.
Seit dem Hochzeitsempfang hatten alle möglichen Leute ihm Vorwürfe gemacht. Sogar Ben wollte ihn offenbar ins Gebet nehmen.
„Noch ein Schluck?“ Ben blieb an seinem Tisch stehen, die Kaffeekanne in der Hand.
„Nein, danke“, erwiderte Charles, ohne aufzublicken. Sein Kaffee war mittlerweile nur noch lauwarm.
Ben blieb jedoch stehen. „Normalerweise mische ich mich nicht ungefragt in die Angelegenheiten anderer ein, aber … “
„Dann tu es auch jetzt nicht“, unterbrach Charles ihn ruhig. Er war schon seit Jahren mit Ben befreundet und wollte nicht, dass ihre Freundschaft auseinander ging – schon gar nicht wegen Lanni.
„Ich würde ja die Klappe halten, wenn da nicht etwas wäre.“ Ben stellte die Kanne auf den Tisch und fuhr nach einem Blick auf Mitch mit gesenkter Stimme fort: „Ich habe dir doch von Marilyn erzählt. Seit mindestens zehn Jahren habe ich nicht von ihr gesprochen, und es hat mich ziemlich aufgewühlt. So wie ich es sehe, schuldest du es mir.“
„Ich schulde dir etwas für den Kaffee, sonst nichts.“
„Diesmal nicht, Charlie.“
Ben wusste genau, dass niemand ihn Charlie nannte.
„Lanni geht weg“, erklärte Ben. „Ich habe mitbekommen, dass sie sich auf ihre Abreise vorbereitet.“
„Ich weiß.“ Was, glaubte Ben eigentlich, hatte er in der letzten halben Stunde gemacht? Er, Charles, hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er es schaffen sollte, Lanni gehen zu lassen.
Ben presste die Lippen zusammen. „Du weißt es?“
Charles umklammerte den Henkel seines Bechers, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Es lässt sich wohl nicht ändern, meinst du nicht?“
„Willst du sie etwa gehen lassen?“
Charles nickte.
Ben neigte den Kopf zur Seite, als würde er seinen Ohren nicht trauen – oder vielmehr, als würde ihm nicht gefallen, was er gehört hatte. „Soll das heißen, du willst Lanni Caldwell wirklich gehen lassen, nachdem ich dir erzählt habe, was mir passiert ist? Wenn du so dumm bist, wirst du es bis an dein Lebensende bedauern.“
„Schon möglich.“
„Okay, du schuldest mir nichts, aber wie ist es mit dir? Oder Lanni. Sie hat es nicht verdient, so behandelt zu werden. Mir scheint, als würdest du bloß nach einem Vorwand suchen, sie loszuwerden.“
„Halt du dich da raus, Ben“, warnte Charles ihn. „Was zwischen Lanni und mir passiert, geht dich nichts an.“
„Ich verstehe dich nicht.“ Ben schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich wirklich nicht.“ Dann nahm er die Kaffeekanne und kehrte in die Küche zurück. „Du hast studiert und bist gebildet, aber ich habe noch nie einen so dummen, sturen …“
„Mistkerl wie mich gesehen“, ergänzte Charles.
„Einen letzten Rat möchte ich dir geben“, rief Ben aus der Küche. „Ich habe fünfundzwanzig Jahre mit meinen Fehlern gelebt. Als ich ihre Briefe nicht gelesen habe, war mir nicht klar, dass ich Marilyn nie wiedersehen würde. Für mich hat es nie eine andere Frau gegeben. Denk einmal darüber nach, Charles. Würdest du Lanni gehen lassen, wenn du wüsstest, dass du sie nie wiedersehen würdest?“
„Ja, ich würde es tun.“ Charles stand auf und knallte ein paar Münzen auf den Tisch. Dann verließ er das Café.
Am frühen Nachmittag sollte Duke Porter mit dem Firmentransporter von Midnight Sons eintreffen. Nachdem Lanni die Kartons vom Wohnzimmer auf die Veranda gebracht hatte, setzte sie sich auf die oberste Stufe und wartete auf ihn. Sie hatte Muskelkater, aber der körperliche Schmerz tat ihr gut.
In der Ferne war bereits eine Staubwolke zu sehen. Da Lanni annahm, es wäre Duke mit dem Wagen, stand sie auf und fuhr sich über die Stirn. Doch Sekunden später stellte sie fest, dass es Charles war, der vorbeifuhr. Er sah stur geradeaus und würdigte sie keines Blickes, als wäre sie Luft für ihn.
Lanni setzte sich wieder und barg das Gesicht in den Händen. Dann atmete sie einige Male tief durch, um nicht die Fassung zu verlieren.
Unwillkürlich fragte sie sich, wie oft es ihrer Großmutter so ergangen sein mochte, dass ihr Herz bei einem
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