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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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wollte. Als er die Raten nicht mehr zahlen konnte, sprang sein Schwager Thomas Barrow ein, dem er den Kredit bis zu dessen Tod schuldig blieb. Der Schwager blieb nicht Johns einziger Gläubiger. Wie es zu der schleichenden Verschuldung kam, ist schwer zu verstehen. Weder Spielschulden noch Finanzspekulationen noch sonstige Extravaganzen sind belegt. Allem Anschein nach war es einfach der alltägliche Lebensstil, der dazu führte, dass die Ausgaben zwar immer nur knapp, aber eben doch regelmäßig über den Einnahmen lagen.
    Für Charles waren die Jahre in Chatham das ungetrübte Kindheitsparadies. Kein Wunder also, dass es ihn später dorthin zurückzog. Damals hatte ihm sein Vater bereits das schöne Anwesen Gad’s Hill Place auf einem Hügel an der Straße von Rochester nach Gravesend gezeigt, das für ihn zum Inbegriff des standesgemäßen Landsitzes eines Gentlemanwurde und das er später als seinen Altersruhesitz erwarb. In Chatham besuchte er zum ersten Mal eine Schule, wo der bereits erwähnte Lehrer William Giles schon früh die ungewöhnlichen Fähigkeiten seines Schülers erkannte. John Dickens nahm seinen Sohn mit ins Theater und gab ihm Bücher, die er begierig verschlang. Zusätzliche Nahrung erhielt seine hungrige Fantasie durch die Kinderfrau Mary Weller, die während der fünf Jahre in Chatham im Hause der Dickensfamilie lebte. Sie erzählte dem jungen Charles schaurige Mordgeschichten, die in ihm jenen Hang zum Grotesk-Makabren weckten, der später ein Markenzeichen seiner Erzählkunst wurde. Die Familie wuchs weiter. Drei Jahre nach der Geburt Laetitias folgte 1819 eine weitere Tochter, Harriet, die aber schon mit vier Jahren starb. 1820 wurde der Sohn Frederick geboren. Trotz des großen Altersunterschieds liebte Charles den kleinen Fred und fühlte sich als sein Beschützer und Lehrer. Ein weiterer Bruder, Alfred Lamert, kam 1822 dazu. Zu ihm, den Dickens als äußerst intelligent, tatkräftig und unternehmungslustig beschrieb, fand er erst in dessen Teenage-Jahren engeren Kontakt.
    1822 ging das idyllische Leben in Chatham abrupt zu Ende, als John Dickens nach London zurückversetzt wurde, wobei sein Gehalt von 441 auf 350 Pfund zurückging. Das hielt ihn aber nicht davon ab, seine Tochter Fanny für eine Jahresgebühr von 40 Pfund zum Klavierstudium an der Königlichen Musikakademie anzumelden. Für Charles wollte er dagegen kein Schulgeld mehr aufbringen, was dieser als ungerecht empfand. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Innerhalb weniger Monate steuerte die finanzielle Situation der Familie auf eine schwere Krise zu. Von Gläubigern bedrängt, versuchte das Ehepaar durch Eröffnung einer Privatschule das Familienbudget aufzubessern. Zu diesem Zweck tauschten sie kurz vor Weihnachten 1823 das kleine Haus, das sie für 22 Pfund Jahresmiete in Camden Town bezogen hatten, gegen ein größeres in Gower Street in der vornehmeren Bloomsbury-Gegend, dessen Miete 50 Pfund betrug. Doch schon im Februar des neuen Jahres war klar, dass die Idee mit der Schule ein Fehler war.
    Ein rettender Strohhalm kam in Sicht, als James Lamert, der Stiefsohn einer Schwester von Dickens’ Mutter, der schon in Chatham zeitweilig bei der Dickensfamilie gelebt hatte, von einem Cousin als Manager einer Schuhwichsfabrik angestellt wurde. Lamert bot an, den zwölfjährigenCharles für einen Wochenlohn von sechs oder sieben Shilling in der Fabrik für das Kleben von Etiketten auf Schuhwichsflaschen anzustellen. Dass der angebotene Lohn trotz der damals üblichen Arbeitszeit von zehn Stunden an sechs Wochentagen großzügig war, wird klar, wenn man erfährt, dass Dickens drei Jahre später bei seiner ersten Anstellung als Anwaltsgehilfe auch nur einen Wochenlohn von zehneinhalb Shilling erhielt. Außerdem erklärte sich Lamert bereit, dem Jungen in der Mittagspause Schulunterricht zu geben.
    Was Dickens’ Eltern als Entlastung des Familienbudgets empfanden, war für ihn selber eine niederdrückende Last; denn mit einem Schlag schienen all seine Hoffnungen auf ein Leben als Gentleman vernichtet zu sein. Vermutlich am 9. Februar, zwei Tage nach seinem zwölften Geburtstag, nahm er die Arbeit in der Schuhwichsfabrik auf. Elf Tage später folgte ein zweiter Schlag, der die Erniedrigung für ihn so vollständig machte, dass er in diesem Moment sein junges Leben in der Blüte erstickt sah: Am 20. Februar wurde sein Vater im Marshalsea Prison als Schuldgefangener inhaftiert. Wie unauslöschlich sich diese traumatische

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