Charles Dickens
weitere Ehrung erfuhr Dickens am 2. Mai, als er zu einem Bankett im Mansion House, der offiziellen Residenz des Lord Mayor von London, eingeladen und mit einem großen Toast gefeiert wurde. Dort saß er mit Harriet Beecher Stowe, der Autorin von
Onkel Toms Hütte
, an einem Tisch. Deren Buch war 1851 und 1852 in Fortsetzungen erschienen und hatte allein in England bis Ende 1852 eine Auflage von anderthalb Millionen erreicht. Dass Dickens diesen Bestseller im Vergleich mit seinen eigenen Werken als eher kunstlos empfand, liegt auf der Hand; doch er lobte das moralische Engagement der Autorin.
Anfang Juni plagten ihn wieder einmal schmerzhafte Nierenprobleme und er äußerte Forster gegenüber, dass er sich überarbeitet und erschöpft fühle. Deshalb zog er sich mit der Familie nach Boulogne zurück, um in Ruhe an den letzten Folgen von
Bleak House
arbeiten zu können. Hier besuchten ihn im August Forster, Lemon, Wills und die Verleger Bradbury & Evans, um den Abschluss des Romans zu feiern. Danach verbrachte er noch einige Zeit damit, die Geschäfte von
Household Word
s auf Kurs zu bringen und sich um Urania Cottage zu kümmern. Dann aber brauchte er wie immer eine Füllung der entstandenen Leere in seinem Innern.
Diesmal sollte es keine Theateraufführung, sondern eine Reise sein. Er konnte seine jungen Freunde Wilkie Collins und Augustus Egg dazu bewegen, ihn nach Italien zu begleiten, wohin die drei am 10. Oktober aufbrachen. Einem Brief an Miss Burdett-Coutts ist zu entnehmen, dass er auf dem Weg durch die Schweiz nach Anregungen für den nächsten Roman suchte. Einen Schweizer Roman schrieb er danachzwar nicht, doch im übernächsten,
Little Dorrit
, klingen in einem zentralen Teil die aufgefrischten Erinnerungen an die alpine Welt in Gestalt suggestiver Landschaftsbilder nach. In Lausanne besuchte er Haldimands Blindenasyl, danach ging es weiter nach Genua, wo er alte Bekannte aus der Zeit seines ersten Italienaufenthalts besuchte, darunter das Ehepaar de la Rue; und weiter ging es mit dem Schiff nach Neapel. Auf dem Schiff traf er den liberalen Politiker Sir James Emerson Tennent, der ihn bei seiner zweiten Besteigung des Vesuvs begleitete. Der Reisegruppe schloss sich auch Sir Austen Henry Layard an, den Dickens zwei Jahre später bei der Gründung der
Administrative Reform Association
unterstützen sollte. Aus Neapel berichtete er in einem launigen Brief an Forster, wie er durch die labyrinthische Stadt irrte, um das Haus des britischen Gesandten zu finden. Der skurrile Franzose, der ihm zuletzt mit kryptischen Worten den Weg dorthin weist, wirkt wie aus einem Dickens-Roman. Zurück nach England ging es über Rom, Florenz und Venedig mit einem Zwischenstopp im geliebten Paris, wo Dickens am 10. Dezember ankam und seinen aus Leipzig kommenden Sohn Charley traf, der mit der Reisegruppe nach London zurückkehrte. Mitte Dezember war die Familie wieder vereint.
In Dickens’ Briefen aus Italien an seine Frau tauchte noch einmal das Problem auf, das damals in Genua Catherines Eifersucht ausgelöst hatte. Nach dem Wiedersehen mit Mrs. de la Rue lag ihm offenbar sehr daran, die freundschaftliche Beziehung wieder aufleben zu lassen. Deshalb bat er seine Frau, dem Objekt ihrer damaligen Eifersucht einen versöhnlichen Brief zu schreiben, was Catherine als Zumutung empfunden haben muss. In einem etwas späteren Brief machte er ihr obendrein den taktlosen Vorwurf, dass ihr Sohn Charley die mangelnde Tatkraft – er nennt es
lassitude
– von ihr geerbt habe. Hier spürt man, dass der Ehefrieden in Gefahr war.
Gleich nach seiner Ankunft in London musste Dickens feststellen, dass sich die Absatzzahlen seiner Zeitschrift gegenüber dem Vorjahreszeitraum halbiert hatten. Das verlangte von ihm sofortigen Einsatz und erhöhte den Druck, umgehend mit einem neuen Roman zu beginnen. Außerdem hatte er zugesagt, für das
Birmingham and Midland Institute
, das als technische Bildungseinrichtung für Erwachsene im Jahr darauf seine Gründungs-Charta erhalten sollte, zwischen Weihnachten und Neujahr eine Reihe von Benefizlesungen aus seinen Weihnachtsbüchern zugeben. So reiste er mit Frau und Schwägerin nach Birmingham, wo bereits die erste Lesung ein voller Erfolg wurde. Die dritte, die für ein Arbeiterpublikum gedacht war und dafür die Eintrittspreise gesenkt hatte, zog ein Auditorium von über 2000 Zuhörern an. Zwischen den Lesungen unternahm Dickens am 28. Dezember mit dem Zug einen Tagesausflug nach Wolverhampton,
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