Charlies Planet
herab, dann packte er sein Gewehr, legte es neben sie und ging zum Floß.
Charlie pfiff, und er gab Antwort. Er löste das Floß von der Verankerung, ergriff die hölzerne Stange und stieß vom Ufer ab. Das Floß glitt auf den Fluß und wurde von der Strömung erfaßt.
Eine Minute später war er flußabwärts unterwegs und stellte fest, daß das Wasser für den Gebrauch der Stange viel zu tief war. Er legte das Holz beiseite und kauerte sich an das primitive Steuerruder. Nachdem er das Floß in die Mitte der Strömung gelenkt hatte, blickte er sich um zur Lagerstätte, die nun rasch zurückfiel.
Mattie saß noch, wo er sie verlassen hatte. Sie las. Ihre Haltung hatte sich nicht im geringsten verändert. Dann trieb das Floß um eine Flußwindung, und sie geriet außer Sicht.
9.
Als sich am Ufer die schwarzen Stämme und tiefgrünen Kronen der Bäume zwischen das Floß und Mattie schoben, pfiff Charlie hell auf. Der Otter stand auf allen vieren neben der Statue und reckte Cary seinen Kopf entgegen. Cary sah ihn an. Der Otter pfiff erneut und warf fragende Blicke in Richtung der Flußbiegung.
Cary schüttelte den Kopf und blickte nach vorn, das Steuer fest unter die Achselhöhle geklemmt.
Charlie pfiff ein drittes Mal.
»Nein!« schnauzte Cary laut. Wieder schüttelte er den Kopf, zwei knappe, hektische Bewegungen. »Sie will es so!«
Charlie verstummte. Die Anstrengung, auf den Beinen zu stehen, machte ihm bereits zu schaffen, und langsam sank sein Bauch zurück auf die Balken. Den Kopf hielt er noch für eine Weile erhoben, während er Cary eindringlich ansah.
Cary starrte mit versteinerter Miene voraus auf den Strom.
Charlie senkte den Kopf und bettete ihn auf die Balken. Einmal noch pfiff er, mehr zu sich selbst, ein gedämpfter, langgezogener Laut, der schließlich in einem Triller verklang. Dann trieben sie schweigend in der Strömung.
Plötzlich stieß Charlie, völlig überraschend, einen wilden Pfiff aus, und Carys Kopf zuckte hoch. Cary hatte das Ruder beigedreht, und das Floß näherte sich nunmehr langsam dem Ufer. Als es auf Grund lief, sprang Cary mit einem Seil von Bord und verankerte das Floß an dem kiesigen Strand, indem er das Seil um eine verrenkte Baumwurzel wand und verknotete. Dann verfiel er in einen gleichmäßigen Trab. Sein Weg führte ihn am Ufer entlang zur Lagerstätte.
Er lief leichfüßig und mühelos, sein Atem ging ruhig und tief, obwohl seine Lippen nur einen Spaltbreit geöffnet waren. Zweimal zwang das dicht wuchernde Gestrüpp ihn, das Ufer zu verlassen und weiter landwärts den Weg fortzusetzen.
Mattie saß unverändert bei ihrem Schlafsack und las in dem Buch. Cary verlangsamte seinen Schritt und blieb vor ihr stehen.
Sie reagierte nicht auf seine Ankunft. Ihre Augen blieben auf die Seiten des Buches gerichtet. Er beugte sich zu ihr herab.
»Mattie«, sagte er.
Sie antwortete nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit blieb dem Text gewidmet. Er streckte eine Hand aus, um ihr das Buch zu nehmen, und seine Finger berührten die ihren. Sie waren eiskalt.
Seine Miene wurde milder. Er hockte sich auf die Fersen und sah in ihr bedrücktes Gesicht. Es war so fahl wie bei einem Menschen, der unter einem schweren Schock stand.
»Mattie …«, wiederholte er. Zärtlich umfaßte er mit seiner Hand ihr Kinn und zwang sie, das Gesicht zu dem seinen zu heben.
»Was machst du hier?« flüsterte sie.
»Ich kann dich nicht allein lassen, Mattie«, gestand er und zog seine Hand zurück. Als er sich aufrichtete, war sein Blick nahezu grimmig. »Ich dachte immer, es gäbe auf der Welt keinen Menschen, den ich nicht im Stich lassen könnte. Aber ohne dich kann ich nicht weiter. Das ist deine Schuld, glaube ich. Wir bleiben also bei dir, Charlie und ich, wenn du einen Tag lang warten willst.«
»Das wäre ein Fehler«, sagte Mattie leise. »Ihr solltet den Weg fortsetzen. Laßt mich in Frieden.«
»Hier? So?« Carys dunkle Brauen bildeten einen Strich. »Es wäre unbedenklich, dich mit dem Gewehr und nur einen Tagesmarsch von Aiges Station entfernt zu verlassen. Aber das hier ist eine andere Sache. Du willst hier sitzen und sterben, nicht wahr, Mattie?«
In seiner Stimme lag ein angewiderter Unterton mit, und sie bemerkte es.
»Ich bin kein Selbstmörder! Glaubst du etwa, ich würde mich umbringen?« Im ersten Augenblick brauste sie auf. Aber dann trieb kühle Gleichgültigkeit das Leben wieder aus ihrer Stimme. »Du begreifst nicht.«
»Was begreife ich nicht?«
»Das
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