Charlotte
können Sie uns auf dem Präsidium in Ruhe erklären, dass Sie nichts mit der Sache zu tun haben.«
Auf den Seitenwegen näherten sich die Trauergäste in losen Grüppchen. Molenaar warf Harry einen enttäuschten Blick zu und zuckte mit den Schultern, drehte sich um und lief fügsam zwischen den beiden Polizeibeamten in Richtung Ausgang.
5
Hanna Cornelia Winter van Doom, oder van Doom Winter, je nach Stimmung ihrer Mutter, lag im sanften Licht unter einem Sonnenschirm in ihrem Laufstall auf der Terrasse und schaute mich aufmerksam an. Eine Stufe weiter unten schwirrten emsige Bienen und Schmetterlinge im Lavendelbeet herum. Hannas Mutter war berufstätig, und wenn ich nicht arbeitete, spielte ich den Hausmann. Glücklicherweise hatten wir auch eine Tagesmutter, die dürre und unscheinbare Tochter einer der letzten einheimischen Familien im Dorf, die ihr Deichhaus noch nicht an einen Fernsehproduzenten oder einen berühmten Fußballer verkauft hatten, oder an einen versprengten Privatdetektiv, dem ein lukrativer Coup gelungen war.
Corrie hatte ein paar Jahre auf der VMBO ausgehalten, wie die Haushaltsschule inzwischen hieß, doch dann das Lernen drangegeben. Ihre Eltern hatten ihre künftigen Arbeitgeber auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie bei uns anfangen durfte, von morgens neun bis nachmittags um vier. Corrie hatte widerspenstiges Haar, Sommersprossen und zahlreiche Geschwister. Von Kind auf hatte ihre Mutter sie alle Kniffe im Haushalt und bei der Babypflege gelehrt, sodass sie vermutlich mehr davon verstand als ihre Lehrer an der Haushaltsschule. Allerdings war sie unglaublich schüchtern und fing fast jeden Satz mit einem bescheidenen »Sorry« an, egal ob sie etwas falsch gemacht hatte oder nicht, wodurch CyberNel sie nach einer Weile unweigerlich »Sorry« statt »Corrie« nannte, natürlich nur, wenn sie nicht dabei war. Hanna war ganz begeistert von ihr, jedenfalls soweit sie das mit viereinhalb Monaten schon zeigen konnte.
Das ist natürlich das Problem mit diesen kleinen, zarten Kinderköpfchen. Alles steckt drin, aber noch nichts kommt raus, außer ein paar primitiven Reaktionen, die auch ein junges Äffchen zeigen würde, wenn es Hunger, Juckreiz, eine nasse Windel oder schlicht Langeweile hätte.
Deshalb hat man in dem Alter noch nicht viel von ihnen.
Ich zwinkerte Hanna zu. Man konnte sich zwar noch nicht mit ihr unterhalten, aber Gott sei Dank weinte sie auch nicht oft. Sie war blond, doch das konnte sich den Nachbarinnen zufolge noch ändern, genau wie von Geburt an schwarzes Haar später blond werden konnte. Hanna war ein zufriedenes kleines Mädchen, das inzwischen schon mit dem Fläschchen zugefüttert wurde. Am schönsten war, wenn wir sie morgens zu uns in das große schwedische Bett unter dem Reetdach holten. Dann trank sie an Nels Brust und verwandelte damit die Szenerie in ein idyllisches italienisches Clair-obscur, das ich stundenlang hätte betrachten können. In diesen Momenten dachte ich darüber nach, wie anders die Welt aussehen würde, in der sie später einmal lebte.
Der Schmetterling auf dem Rand ihres Laufstalls flatterte davon, als drinnen das Telefon klingelte. Ich winkte Hanna zu und stand widerwillig von meinem Stuhl auf. Corrie kam sofort ins höher gelegene Wohnzimmer gerannt. »Sorry Meneer, soll ich Hanna holen? Ich habe ihr Fläschchen fertig und danach muss sie ihren Mittagsschlaf machen.«
Sie würde es vermutlich nie über sich bringen, mich Max zu nennen, und wenn sie noch so alt würde, weil ich natürlich auch älter und damit respekteinflößender wurde. Manche Distanzen lassen sich einfach nicht mehr überbrücken. »In Ordnung, Corrie«, sagte ich, und sie eilte zwischen den Pflanzkästen im Wohnzimmer hindurch zur offen stehenden Terrassentür.
Meulendijk war am Apparat.
»Max, ich bin froh, dass ich dich … Ich habe da etwas bei dir in der Nähe.«
Durch meinen Umzug an die Linge war ich in die Riege der unbedeutenderen Provinzdetektive aufgerückt beziehungsweise abgestiegen, die freiberuflich für das Ermittlungsbüro des ehemaligen Staatsanwalts Herman Meulendijk arbeiteten. »Worum geht’s denn?«, fragte ich.
»Augenblick, ich verbinde dich mit … «
Auch er war inzwischen zu alt, um noch zu lernen, seine Sätze zu beenden.
»Kuitert«, sagte eine Stimme.
»Kuitert? Sind Sie nicht der Buchhalter?«
»Nein, das ist mein Bruder. Ich bin Henk Kuitert und seit einem Jahr für die Organisation zuständig. Hat der Chef Ihnen erklärt,
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