Charlotte
miteinander geredet. Er war nett zu mir und hat sich um mich gekümmert. Es hat ihn gefreut, da bin ich mir sicher. Er hat mich genauso vermisst wie ich ihn.« Sie geriet ins Stocken. »Ich war so froh, dass ich ihn gefunden hatte, vor allem nachdem meine Mutter tot war. Ich dachte, dafür habe ich etwas hinzugewonnen, meinen Vater.«
»Mevrouw Runing sagt, Otto habe ihr versichert, dass er nicht dein Vater sein konnte.«
»Das glaube ich nicht!«, rief sie heftig. Sie biss sich auf die Lippen. »Vielleicht hat er sich nicht getraut, es zuzugeben. Oder sie wollte es gar nicht wissen.«
Wir schwiegen einen Moment. »Hat deine Mutter den Namen Charlotte für dich ausgesucht?«
Sie nickte. »So hieß eine Freundin von ihr und Leonoor, aus Utrecht«, sagte sie.
Ich ließ mir nichts anmerken. »Du hast also eine Patentante?«
»Nun … ich habe sie noch nie gesehen, ich glaube, dass sie sich aus den Augen verloren haben, als ich noch ganz klein war. Vielleicht, weil wir hierher gezogen sind. Nun ja … «
»Ist das nicht komisch?«, fragte ich. »Wo sie doch eine so gute Freundin war, dass sie dich nach ihr benannt haben?«
»Freundschaft vergeht manchmal«, sagte Charlotte stirnrunzelnd. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, sie hätten mich nach dieser Freundin benannt, weil sie so nett zu ihr und Leonoor gewesen sei. Ich glaube, dass sie sich mit ihr gestritten haben und es ihnen im Nachhinein Leid tat, dass sie mir den Namen gegeben hatten, aber das war eben nicht mehr zu ändern.«
»Weißt du, wie sie mit Nachnamen hieß oder wo sie herkam?«
»Nein, nur dass sie eine Nachbarin war, die im Haus auf derselben Etage wohnte. Warum?«
Ich zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Kaffee. »Hat dir dein Vater erzählt, dass er Fotos von dir gemacht hat, als du ein Baby warst?«
»Wir haben nicht darüber geredet, aber Leonoor hat es mir erzählt.«
»Hat deine Mutter Abzüge davon bekommen und gibt es die noch?« Es hätten Zahlen darauf stehen können, Codes, Daten, der Name eines Fotogeschäfts.
»Ich weiß es nicht.« Ich sah, dass ich sie mit meinen Fragen durcheinander brachte. »Es gibt ein Album mit Kinderfotos von mir, aber keines, wo mein Vater drauf ist.«
Das wäre auch ein wahres Wunder gewesen. »War Leonoor nicht böse auf dich, weil du in dieser Nacht nicht nach Hause gekommen bist?«
»Nein, nein. Ich habe sie von Culemborg aus angerufen. Sie wartete natürlich schon auf mich, reagierte aber verständnisvoll.«
»Wusstest du, dass sich Leonoor mit deinem Vater verabredet hatte?«
Sie nickte, froh, dass sie das bestätigen konnte. »Das war seine Idee, er hat sie angerufen, ich glaube, noch am selben Abend. Sie wollten sich am nächsten Tag im Hotel Arnheim treffen.«
»Weißt du, um welche Uhrzeit sie sich verabredet hatten?«
»Für halb sechs.«
»Wolltest du nicht mit?«
»Leonoor meinte, dass sie sich beim ersten Mal besser mit ihm allein unterhalten sollte, und außerdem musste ich an dem Nachmittag arbeiten, ich hatte eine Doppelschicht. Aber er ist nicht gekommen. Leonoor hat eine Stunde auf ihn gewartet. Am nächsten Tag hat sie versucht, ihn anzurufen, konnte ihn aber nicht erreichen. Ich habe nachmittags vom Geschäft aus bei Otto in der Firma angerufen, und dort sagte man mir, dass er tot ist.« Sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu weinen.
»Wer hat dir das erzählt?«
»Die Telefonistin. Ich bin sofort nach Hause gegangen. Leonoor wusste es schon, sie hat versucht, mich zu trösten, aber ich bin allein am Fluss entlangspaziert. Ich wollte mich erkundigen, wo die Beerdigung stattfand, aber Leonoor meinte, ich solle die Familie lieber vorerst nicht stören.« Sie schaute mich verloren an. »Ich habe ihn kaum gekannt, aber er war mein Vater. «
7
»Dein neuer Fall ist mir ziemlich schleierhaft«, meinte CyberNel.
Wir saßen in der Küche und aßen einen Auflauf mit Fenchel, Käse und von Sorry geschnippelten Kartoffeln. Die Fenster standen offen. Die Birnen reiften an dem krumm gewachsenen Birnbaum. Aus dem Babyphon blubberten zufriedene Laute von Hanna, die in ihrem Kinderzimmer unter einem Himmel mit schwebenden Schmetterlingen und Elfen lag, und Nel sah mit ihrem rosigen Gesicht einer jungen Mutter verführerischer aus denn je.
»Das ist mehr, als ich von deinen Aufträgen verstehe. « Ich wies mit dem Kinn auf eine Zeitschrift am Tischrand, umgeschlagen bei dem Foto einer gewissen Dorothy Denning,
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