Charlotte
Sie gleich, worum sich alles dreht. Außerdem ist die Wirtschaft gleich nebenan. Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?«
»Ich habe Ihren Namen aus der Polizeiakte. Darin stand, dass Sie Runing am liebsten eigenhändig umgebracht hätten.«
Er runzelte die Stirn. »Und Sie arbeiten wirklich für Stefs Rechtsanwalt?«
Ich lächelte. »Ja.«
»Dann kommen Sie mal mit.« Er ruckte kurz an der Leine und ich folgte ihm auf das Gelände.
Ein Aufseher mit einem Klemmbrett, ein Handy an die Brust gedrückt, lief uns prompt hinterher. »Entschuldigung, die Herren, das hier ist Privatgelände.«
Der graue Schäferhund hob den Kopf und entblößte seine regelmäßigen Zähne.
»Sie können mich mal«, sagte Goverts.
Der Aufseher erstarrte. Er warf einen Blick auf den Hund. »Sie sollten lieber gehen, sonst lasse ich Sie von meinen Mitarbeitern entfernen.«
Mein Begleiter erwiderte unbewegt seinen Blick. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich bin Frank Goverts und habe hier fünfzig Jahre lang gearbeitet. Ich will diesem Meneer nur mal kurz zeigen, was von alldem übrig ist.«
»Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit«, wandte der Aufseher ein.
»Keine Angst«, sagte ich. »Wir sind gleich wieder weg.«
Beim Bauwagen ertönte eine Klingel. Der Aufseher drehte den Kopf zu dem Geräusch. »Passen Sie auf, wo Sie hintreten«, sagte er. »Wir tragen die Verantwortung, wenn Ihnen etwas geschieht.« Daraufhin eilte er hinüber zum Wagen.
Goverts schaute ihm nach und murmelte: »Das Land baut, Goverts ist auf dem Altenteil.«
»Fünfzig Jahre?«, fragte ich.
»Ja, so ungefähr jedenfalls. Ich hatte die Handwerkerschule besucht, damals muss ich sechzehn gewesen sein. Sie suchten ein Faktotum, einen, der sich um die Instandhaltung kümmerte. Bessere Arbeitgeber als Harm und Elise Molenaar konnte man sich nicht vorstellen. Ich habe alles erledigt, was es in einem Hotel zu tun gibt, und aus alldem gelernt. Ich war Nachtportier, Kofferträger, Handwerker, Kellner. Ich habe im Garten gearbeitet und eine Menge Betten gemacht und Zimmer gestaubsaugt, bis wir die beiden surinamischen Zimmermädchen bekamen. Ich habe zusammen mit Jean Marie in der Küche gestanden. Er war Belgier, er hat hier auch zwanzig Jahre gearbeitet. Hundert Jahre lang war das Hotel im Besitz der Familie van Stal. Elise war die letzte, sie hat Harm Molenaar geheiratet.«
Er hielt einen Moment inne, bestürmt von der Vergangenheit. Goverts war ein kleiner, sehniger Mann. Seine Augen waren trocken. Die Trauer lag hinter ihm, aber sein Atem roch nach Jenever und rote Äderchen durchzogen seine Nase. Er bückte sich und tätschelte den Kopf des Schäferhundes.
»Haben Sie nie daran gedacht, sich eine andere Stelle zu suchen?«
»Warum hätte ich das tun sollen?« Er gab einen verächtlichen Laut von sich. »Ich saß an Harms Seite im Flur des alten Elisabeth-Krankenhauses, als Stef geboren wurde. Ich bin sein Patenonkel. Ich bin bis zum Ende dabeigeblieben, sie waren meine Familie.« Er wies mit einem Nicken auf die Bauschuttgrube. »Das war der Weinkeller. Sie haben mir sogar beigebracht, woran man einen guten Wein erkennt.«
»Haben Sie nie geheiratet?«
»Einmal war ich kurz davor, aber dann kam es anders.«
»Und Stef?«
»Stef?«
»Ist er immer Junggeselle geblieben?«
»Stef war anders.«
Goverts zog den Schäferhund hinter sich her. Der Wind schmeckte nach Kalkstaub und herannahendem Herbst.
Ich folgte dem Mann und dem Hund durch die Reste der Grünanlage zum Parallelweg an der Hauptstraße entlang, wo der Zaun aufgestellt wurde. Neben dem Hotelgrundstück stand ein leer stehendes Gebäude mit vernagelten Fenstern. »Das war ein schönes Kino«, sagte er. »Wenn wir Zeit hatten, gingen Elise und ich manchmal in die Nachtvorstellung, wir nahmen Jean Marie mit und später auch die surinamischen Schwestern, es waren nette Mädchen.«
Ich runzelte die Stirn. »Hat Elise nicht wieder geheiratet?«
Goverts blieb stehen. »Jetzt macht es ja nichts mehr aus, Sie können es ruhig wissen.« Ein spöttischer Zug lag in seinen Augen. »Elise war eine Dame. Sie war vierzig, als sie Witwe wurde. Sie hatte alle Hände voll mit dem Hotel zu tun, nachdem Harm nicht mehr da war. Ich war ein paar Jahre jünger als sie. Ich habe drei Jahre gewartet, bis ich genügend Mut beisammen hatte, um einen Strauß Rosen und einen Ring zu kaufen und zu ihr zu gehen. Sie trug zwei Ringe an ihrer linken Hand, meinen hat sie an die rechte gestreift und ihn mit ins Grab
Weitere Kostenlose Bücher